„Wie im Westen, so auf Erden“ – Das kapitalistische System überschreitet bewusst seine eigenen Grenzen und birgt riesige Gefahren für die Weltgemeinschaft und unseren Planeten. Der Globale Norden, der maßgeblich für diese Entwicklung verantwortlich ist, greift bei der Bekämpfung der Klimakrise auf altbekannte, imperialistische Muster zurück. Diese „öko-imperialen Spannungen“, wie die Autoren sie nennen, stehen im Zentrum der politisch-soziologischen Analyse dieses Buches.
Darum geht es!
„Kapitalismus am Limit“ – für jene, die sich mit dem Themenkomplex bereits beschäftigt haben, mag der Titel zunächst wenig Neues versprechen. Doch das Buch fesselt durch seinen analytischen Tiefgang und die gezielte Auseinandersetzung mit bisher unzureichend beleuchteten Zusammenhängen. Mit dem Buch wollen die beiden, schreiben sie am Anfang ihres Werkes, ein Deutungsangebot machen, das die (Klima-)Krise und ihre inhärenten Widersprüche besser zu verstehen hilft. Sie wollen zum Handeln ermutigen, sowie Debatten voranbringen, in denen nach emanzipatorischen Alternativen gesucht wird.
Ausgehend vom Diskurs über die Zeitenwende steckt der Anfang des Buches erstmal Begrifflichkeiten ab und fokussiert sich dabei vor allem auf das Konzept der imperialen Lebensweise. Weiter wird auf die planetaren Grenzen, das Anthropozän-Narrativ und auf ökologische Ungleichheits- sowie soziologische Nachhaltigkeitsforschung eingegangen, um daraus einen eigenen Begriff der sozial-ökologischen Krise zu entwickeln. Die Autoren halten dabei fest, dass das qualitativ Neue für Sie an der Situation darin bestünde, dass ökologische Krisenphänomene disruptiv in die Menschheitsgeschichte einbrechen und soziale Krisen verstärken, dabei auch zunehmend in den Alltag der kapitalistischen Zentren einbrechen. Die zweite Hälfte des Buches widmet sich den Auswirkungen und Lösungsversuchen des bis dato Beschriebenen und setzt sich zunächst mit dem European Green Deal als Beispiel für einen grünen Kapitalismus auseinander.
Wie sieht ein europäischer grüner Kapitalismus aus und was bedeutet dies für den Rest der Welt?
Hier bringen die Autoren das Zitat „Wie im Westen, so auf Erden“ von Wolfgang Sachs ins Spiel, das die infrastrukturelle Kolonialisierung des globalen Südens im Kontext des European Green Deal treffend beschreibt. Dieser wird in diesem Zusammenhang zwar als wirkmächtig beschrieben, ihm fehle aber ein ausreichendes Potenzial für eine nachhaltige Krisenbearbeitung. Jene Krisenbearbeitung kann ja gar nicht ausreichend sein, wenn die sozial-ökologischen Kosten, die der Weg zum klimaneutralen Kontinent selbst produziert, in den globalen Süden verlagert werden. Man denke an den Ausbau erneuerbarer Energien, wofür der globale Norden Unmengen an kritischen Rohstoffen, unter Inkaufnahme von massiven Umweltschäden, importiert. Hier ergänzen grün-kapitalistische Strategien der Dekarbonisierung den klassischen Extraktivismus um einen „grünen“ Extraktivismus.
Letzteres wird auch nochmal im fünften Kapitel thematisiert, welches sich der unübersichtlichen Weltlage und öko-imperialen Spannungen widmet. Die Analyse der Autoren bringt hier zum Ausdruck, dass es scheinbar trotz allen weltpolitischen und -wirtschaftlichen Bemühungen einen Konsens seitens des Globalen Nordens, hinsichtlich der Aufrechterhaltung einer imperialen Lebensweise, zu geben scheint.
In den letzten beiden Kapiteln wird zunächst auf das Erstarken einer autoritären Rechten innerhalb der Krise der imperialen Lebensweise eingegangen und diskutiert, ob diese Entwicklung als Symptom einer Art Hilfslosigkeit der liberalen Demokratie angesehen werden kann. Ein wirksames Mittel dagegen sei eine verbindende Klassenpolitik, die keine Freiräume für rechtes Gedankengut zulässt.
Abschließend wird anhand des Konflikts um das Dorf Lützerath aufgezeigt, wie eine solidarische Krisenpolitik aussehen könnte. Aus den Erfolgen, aber auch aus dem unvermeidbaren Ende des Kampfes um dieses „letzte gallische Dorf“ in Nordrhein-Westfalen, lassen sich wichtige Lehren für emanzipatorische Bewegungen ableiten. Lützerath als Beispiel für den Kampf gegen den globalen Kapitalismus mag auf den ersten Blick wie ein Kampf von David gegen Goliath erscheinen, doch es dient als kraftvolles Muster für den Widerstand gegen etwas scheinbar Unbezwingbares.
Fazit
Viele der derzeitigen internationalen Auseinandersetzungen und Spannungen haben einen ökologischen Gehalt. Sie werden zunehmend von der ökologischen Krise, insbesondere der Energie- und Klimakrise, geprägt und verschärft. Diese öko-imperialen Spannungen, die aus einer sich selbst erodierenden imperialen Lebensweise des Globalen Nordens resultieren, analysieren Brand und Wissen mit beeindruckender Präzision. Diese Genauigkeit macht das Buch auch lesenswert, sind die Grundthesen des Buches ja nicht gänzlich neu. Gegen Ende des Buches würde man sich proportional zu den Problemfeldern, einen größeren Teil wünschen, welcher sich den strategischen Lösungsansätzen, dem Neuen, widmet. Trotzdem werden die Lesenden dazu ermutigt alte Denkmuster zu hinterfragen und solidarische Strategien zu entwickeln, die für eine partnerschaftliche nachhaltige Entwicklung unerlässlich sind.
Das Buch
Brand, Ulrich/Wissen, Markus (2024): Kapitalismus am Limit. Öko-imperiale Spannungen, umkämpfte Krisenpolitik und solidarische Perspektiven. Oekom-Verlag, 304 Seiten.