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Autoren-Gespräch: ‚Befreiung vom Überfluss‘

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Niko Paech ist außerplanmäßiger Professor im Bereich der Pluralen Ökonomik an der Universität Siegen und gilt als Begründer der Postwachstumsökonomie. Neben seinem 2012 im oekom-Verlag erschienenen einflussreichen Buch ‚Befreiung vom Überfluss‘ veröffentlichte Paech zahlreiche Artikel zur Postwachstumsökonomie, Suffizienz, Arbeitszeitreduktion, regionaler Wirtschaft und Kritik am ‚grünen Wachstum‘.

Redaktion: Lieber Niko Paech, dein Buch mit dem Titel ‚Befreiung vom Überfluss‘ hat 2012 einen wichtigen Teil dazu beigetragen, die Kritik an wirtschaftlichem Wachstum und steigendem Ressourcenverbrauch im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen. Als eines der meistgelesenen Bücher zu diesem mittlerweile in so vielen wissenschaftlichen Disziplinen und sozialen Bewegungen aufgegriffenen und weiterentwickelten Thema hat es viele in der Postwachstumsbewegung geprägt. Nun ist im oekom-Verlag eine aktualisierte Neuauflage deines Klassikers erschienen. Was hat dich dazu gebracht, dein Buch zu überarbeiten?

Niko Paech: Der Verlag trat nach etlichen Auflagen an mich heran und gab zu bedenken, dass es anstelle eines Neuabdrucks des immer selben Textes an der Zeit sei, das Buch zu überarbeiten, insbesondere – falls erforderlich – mit einer zwischenzeitlich gewandelten Realität abzugleichen. Was sich dann als notwendig erwies, ging über Ausbesserungen und Aktualisierungen hinaus, umfasste also auch, bestimmte  Aspekte zu präzisieren oder neue hinzuzufügen.

Redaktion: Welche neueren Erkenntnisse und Entwicklungen in der Postwachstums-Debatte waren für dich besonders wichtig, um in die aktualisierte Fassung aufgenommen zu werden?

Niko Paech: Vertieft habe ich unter anderem ein prägnantes Dilemma, das stoisch ignoriert wird, aber wie ein weißer Elefant im Raum steht und auf das ich bereits seit längerem hingewiesen hatte. Dieses Phänomen dürfte sich zu einem der wesentlichen Hindernisse für das notwendige, auf Reduktionsleistungen basierende Überlebensprogramm ausgeweitet haben. Gemeint ist die bequeme Neigung, einen vernunftgeleiteten Wandel zu fordern, der makroökonomisch durch entsprechende Rahmenbedingungen und eine sozialpolitische Abfederung umgesetzt werden soll, folglich von staatlichen Maßnahmen, also politischen Mehrheiten abhängt. Aber das Zustandekommen der Letzteren könnte unwahrscheinlicher nicht sein, erweist sich als zunehmend utopisch. Dieser lähmende Zwiespalt, nämlich die Transformation vom Handeln einer Institution abhängig zu machen, die handlungsunfähig ist, kommt nicht von ungefähr. Er entstammt modernistischen Denkrichtungen, die systematisch jeden Sinn für individuelle Verantwortung pulverisieren, mit der Begründung nämlich, dass grundsätzlich alle Menschen Opfer von Macht und Herrschaft sind. Demokratische Regierungen reproduzieren diesen Ritus, indem sie sich in Heilsversprechen verlieren, die zumeist auf technologischen Irrwegen beruhen. Deren Vorteil liegt in einer unübersehbaren, ganze Landstriche umwälzenden Nachhaltigkeitssymbolik, die zur Gewissensberuhigung und Legitimation des ökosuizidalen Status Quo beiträgt, vor allem als Ersatz für reduktive Anpassungen dient. Alles andere würde viele Wählerstimmen kosten.

Zweitens habe ich versucht, noch verständlicher werden zu lassen, dass Erfolge des allgegenwärtigen Entkopplungsprogramms nicht einmal theoretisch begründbar, sondern als Ausgeburt magischen Denkens zu betrachten sind und mittlerweile sogar ins Kontraproduktive kippen. Drittens erschien mir wichtig, die seit Erscheinen der ersten Auflage nochmals gewachsene Verletzlichkeit des aktuellen Wohlstandsmodells deutlicher herauszustellen, auch vor dem Hintergrund, dass sich die sog. „Kollapsologie“ zu einem veritablen Strang des Nachhaltigkeitsdiskurses entwickelt hat. Viertens habe ich den Text um einen Aspekt erweitert, der bislang komplett fehlte, nämlich die organisierte Unverantwortlichkeit eines Versorgungssystems, dessen Komplexität angesichts globaler Lieferketten unbeherrschbar geworden ist.

Redaktion: ‚Befreiung vom Überfluss‘ steht ja für eine suffizienzorientierte Abkehr vom Wachstum durch lokale Produktion und verringerten individuellen Konsum, eine Position, die von manchen als antiliberal, von anderen als zu wenig kapitalismuskritisch kritisiert wird. Warum ist für dich Suffizienz dennoch der richtige Weg zur Überwindung des Wachstumszwangs und zu sozialer und ökologischer Gerechtigkeit und was würdest du den Kritiker*innen dieser Position entgegnen?

Niko Paech: Suffizienzorientiert? Das Konzept der Postwachstumsökonomie umfasst seit jeher fünf Gestaltungsebenen, von denen nur eine die Suffizienz umfasst. Die anderen widmen sich dem Umbau der Versorgung. Aber konkret zur Suffizienzkritik: Die Notwendigkeit, Wohlstandsauswüchse zu reduzieren, ergibt sich daraus, dass deren Substitution oder Entkopplung unmöglich ist – mehr noch: immer unmöglicher wird, weil sich allein die digitale und mobilitätsbasierte Prosperität zusehends von jeder denkbaren Ökologisierung entfernt. Wer also Suffizienz ablehnt, muss entweder an ein technologisches Wunder glauben, etwa die Überwindung der Thermodynamik, oder zynisch genug sein, globale Gerechtigkeit innerhalb ökologischer Grenzen als Maxime zu verwerfen.

Suffizienz als antiliberal zu brandmarken endet in derart vielen Kategorienfehlern und Widersprüchen, dass hier nur drei davon gestreift werden können. Erstens: Ein bestimmtes Ziel als solches impliziert per se nicht, welche Mittel zu dessen Erreichung gewählt werden könnten, sollten oder müssten. Auch Windkraftparks oder E-Mobil-Fabriken können unter Ausschöpfung liberaler Freiheit projektiert oder mittels purer Machtausübung oktroyiert werden. Die nicht nur hier, sondern auch in anderen Politikfeldern zu beobachtende Verwechselung von Zielen und Mitteln ist oft ideologischen Reflexen oder Interessen geschuldet, die sich vorzüglich hinter vermeintlichem Liberalismus verbergen lassen. Jedenfalls beruht die von mir ein ums andere Mal beschriebene Suffizienzstrategie auf sozialen Prozessen und bildet zudem ein erweitertes Handlungsrepertoire, um psychische Wachstumsgrenzen reduktiv verarbeiten, also Reizüberflutung und Überforderung vermeiden zu können.

Zweitens: Der sich betont liberal gerierende Einwand, Suffizienz sei mit moderner Freiheit nicht zu vereinbaren, bildet ein Paradebeispiel dafür, dass manche Kritik mehr über den Kritiker als den Kritisierten verrät. Denn dieses Argument setzt ein Menschenbild voraus, dem die Fähigkeit zur Einsicht in die Notwendigkeit des Überlebensnotwendigen fehlt. Damit richtet sich das Argument ungewollt gegen die ihm zugrundliegende Intention, denn Liberalismus und Demokratie dürften mit einer derart pessimistischen Einschätzung des menschlichen Charakters kaum zu vereinbaren sein, woraus sich wiederum eine oft bemühte Rechtfertigung für Totalitarismus ableitet. Drittens: Eine liberale Freiheit, deren Ausübung sich systematisch ihrer eigenen physischen Grundlage beraubt, könnte absurder kaum sein.

Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch und deine Einblicke in die Überarbeitung deines Buches!

Niko Paech: Ich danke ebenfalls für das Gespräch.

Das Gespräch führte Vincent Schlinkert, Redakteur für den Blog Postwachstum.

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Niko Paech ist außerplanmäßiger Professor im Bereich Plurale Ökonomik an der Universität Siegen und gilt als Begründer des Konzeptes der Postwachstumsökonomie. Seine Schwerpunkte liegen in der wirtschaftswissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung, insbesondere in der Postwachstumsökonomik, Umweltökonomik, im Klimaschutzmanagement, in der Organisations- und Innovationsforschung, im Supply Chain Management, in der Produktionswirtschaft und der Analyse transformativer Wirtschaftsformen.

Vincent Schlinkert studiert im Master Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Sein politikwissenschaftliches Bachelorstudium absolvierte er an der Philipps-Universität Marburg und hat seine Abschlussarbeit zum Thema „‘Postkapitalistischer Wohlfahrtsstaat‘?: Die soziale Frage beim Übergang in eine Postwachstums-Wirtschaft“ verfasst. Seit April 2024 ist er in der Redaktion des Blogs Postwachstum als studentischer Mitarbeiter tätig.

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