In meinem letzten Beitrag habe ich dargestellt, dass der Weg in eine Postwachstumsgesellschaft nicht allein über Parallelgesellschaften (A) oder Trans-Formation von Institutionen (B) führen könne. Gleichfalls unbegründet ist in der Position, für die der Weg zu einer Postwachstumsgesellschaft wesentlich über Reallabore (C) führt, die pauschale Abwertung von „Aufklärung“ gegenüber transformativen Praxen – so berechtigt auch zuweilen der kritische Hinweis sein mag, dass die gewachsene öffentliche Aufmerksamkeit für Wachstums- oder Kapitalismuskritik noch nichts an der Realität eines sich weiterhin expansiv reproduzierenden globalen Gesellschaftssystems ändert. Zeitgemäße Aufklärung ist nach wie vor unverzichtbar, um transformative Denk- und Handlungsräume zu öffnen.1 Drei „Methoden“ scheinen mir dafür wichtig.
(a) Das ist zunächst die Kritik bzw. Delegitimierung der herrschenden Ordnung als nicht in Zeit und Raum übertragbar, als die eigenen zivilisatorischen Grundlagen zerstörend. Um gängige Routinen zu irritieren, kann es hilfreich sein, das ökologisch oder sozial Kritisierte nicht nur als etwas Äußerliches („das System“) darzustellen, sondern auch als (Herrschafts-)Verhältnisse, die sich durch das Handeln der Individuen reproduzieren. Dazu gehört auch das Aufzeigen der subtilen sozialen Mechanismen, die Konformität und (Freiheits-)Illusionen erzeugen und so die Verhältnisse vor Kritik immunisieren, „Selbstdenken“ (Welzer 2013) behindern. Gelingt es, beschwichtigende Legitimationsmechanismen (z.B. das „Leistungsprinzip“) zu hinterfragen, so kann dies auch den Genuss der „illegitimen Früchte der Ausbeutung von Mensch und Natur“ verderben (Paech 2012). Wirksamer als pauschale „Konsumismus“-Schelte scheint mir, Zusammenhänge aufzuzeigen, wie Bedürfnisse in Bedarfe für konsumierbare Waren systemisch transformiert werden, was den Individuen als freier, ur-persönlicher Wahlakt erscheint.
(b) Vor allem jedoch scheinen mir attraktive Visionen wichtig, Bilder und Geschichten, die Alternativen auf eine überzeugende, mobilisierende Weise verdeutlichen und zeigen, wie Wirtschaft und Gesellschaft, ein gutes Leben für alle aussehen könnte. Das Visionäre ist dabei keineswegs als Alternative zu konkreten Projekten zu sehen, eher als dessen „rot-grüner Faden“ (Thie 2013) oder Langzeithorizont, auch nicht alternativ zu Theorieentwicklung, etwa zu einer „subversiven Betriebswirtschaftslehre“ (Paech 2012a).
(c) Von Kritik und Alternativen ausgehend können Spielräume für transformatives politisches Handeln in unterschiedlichen Formen verdeutlicht werden. Einige Autoren (Paech, Welzer) verbinden dies mit der Aufforderung, eigene Spielräume kreativ zu nutzen für Innovationen oder Selbstveränderungen in Richtung Postwachstumsgesellschaft. Das zu Verändernde sollte also nicht nur als Forderung an andere gedacht werden, Bedingungen zu ändern, sondern auch als Einladung, sich selbst als Teil des beklagten Problems zu begreifen und zum Akteur seiner Lösung zu werden. So könne man z.B. – Niko Paech folgend – seinen Lebensstil suffizient verändern oder sich in einer neuen wachstumskritischen Initiative oder sozialen Bewegung engagieren. Als WissenschaftlerIn habe man die Möglichkeit, subversive Theorien zu entwickeln und die öffentliche Anerkennung entsprechender Praktiken und ihrer Akteure zu befördern. Als UnternehmerIn wiederum, sei es möglich, eine Firma zu gründen, die hinsichtlich ihrer Produkte und demokratischen Entscheidungsprozesse, ihrer Verdienst- und Arbeitszeitregelungen eine partielle Vorwegnahme von Postwachstumsökonomie ist und die KundInnenen als ProsumentInnen befähigt, künftig weniger kaufen müssen zu wollen.
Den Lebensstil ändern ist politisch
Die Hoffnung, durch appellative Aufklärung transformativ zu wirken, geht davon aus, dass jedes Individuum seine Handlungsspielräume so nutzen kann, dass es zum Akteur einer Postwachstums-Transformation wird. Selbst wenn dies eine scheinbar rein individuelle Lebensstiländerung ist, indem es sein Leben von überflüssigen Gegenständen entrümpelt, seine Erwerbsarbeitszeit verkürzt zugunsten von politischem Engagement oder Selbstversorgung, so ist dies allein schon durch das für andere sichtbare „Anders Leben“ ein Beitrag zur Veränderung gesellschaftlicher Normen. Und die Erfahrung gelungener Selbstveränderung gegen Gruppen- und Gesellschaftsnormen oder erlebter Selbstwirksamkeit können ein wichtiger Impuls sein, sich in gesellschaftlichen Transformationsprozessen zu engagieren.
Voluntaristisch werden Erwartungen, durch Aufklärung und Lebensstilveränderung einen gesellschaftlichen Post-Wachstums-Wandel einzuleiten, allerdings dann, wenn verkannt wird, dass die realen Möglichkeiten dafür (z.B. für drastische Reduktionen der Erwerbsarbeitszeit) sozial sehr ungleich verteilt sind. Deshalb kann dieser Pfad auch kein Ersatz für politisch durchzusetzende Reformen sein, die den „Vielen“ nachhaltige Lebensstile ermöglichen.
Kurzum: Prinzipiell Ausschließendes kann ich zwischen den Ansätzen Parallelgesellschaften (A), Trans-Formation von Institutionen (B) und Reallabore (C) nicht erkennen. Sie können und sollten sich ergänzen, ebenso wie die für Postwachstums-Transformationen notwendigen sozialen, technologischen und kulturellen Innovationen. Legitim ist natürlich ein Wettbewerb zwischen ProtagonistInnen unterschiedlicher Wege und Strategien um Einfluss und AnhängerInnen. Produktiv ist er dann, wenn dabei das übergreifend Gemeinsame, der Umfang und die Aktivität der geistig und praktisch Mobilisierten gewinnen.
Die Akzeptanz vielfältiger Wege und ihr Zusammenwirken in eine gemeinsame Richtung kann auch als Vorgriff auf eine plurale Postwachstumsgesellschaft verstanden werden, in der Menschen unterschiedliche, im Laufe ihres Lebens wechselnde Präferenzen für die eine oder andere Form von Zusammenleben, Produzieren, Demokratie usw. ausleben können.
1Das Gewicht von Aufklärung (bzw. des Rationalen überhaupt) für Verhaltensänderung wird zum Teil stark relativiert. Sie erreiche nur den kognitiven Teil unseres Orientierungsapparates, aber der weitaus größere Teil sind Routinen, Deutungsmuster, unbewusste Referenzen und der Habitus bliebe davon unberührt. Diese seien nicht durch Aufklärer entstanden, sondern durch ökonomische Praxis der sich entwickelnden bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften (Welzer 2013: 56). Deshalb gehe es nicht (mehr) darum, Denkmuster und Bewusstsein zu transformieren, was seit 40 Jahren erfolglos versucht werde. Es gelte, alternative Praktiken zu etablieren (Welzer 2013a) – eine fruchtlose Gegenüberstellung, allein schon, wenn man an die enorme, politische Biographien prägende, Wirkung von Büchern („Grenzen des Wachstums“, „Der stumme Frühling“) denkt.
Literatur
Paech, Niko (2012): Befreiung vom Überfluss, München.
Paech, Niko (2012a): Postwachstumsökonomie, in: Woynowski, Boris et al. (Hg.), Wirtschaft ohne Wachstum?! Notwendigkeit und Ansätze einer Wachstumswende, Reihe Arbeitsberichte des Instituts für Forstökonomie der Universität Freiburg (59), S. 315-320.
Thie, Hans (2013): Rotes Grün. Pioniere und Prinzipien einer ökologischen Gesellschaft, Hamburg.
Welzer, Harald (2013): Selbst Denken. Eine Anleitung zum Widerstand, Frankfurt am Main.
Welzer, Harald (2013a): Von der expansiven zur reduktiven Moderne, in: Politische Ökologie 133, S.124-128.