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Anders Wachsen!

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Dass es sich bei „Anders Wachsen“ nicht etwa um eine Anleitung zur Green Economy handelt, wird bereits am Untertitel deutlich. Dort heißt es „Von der Krise der kapitalistischen Wachstumsgesellschaft und Ansätzen einer Transformation“. Und wahrlich, das Buch ist alles andere als ein Befürworter vermeintlicher Lösungen für gesellschaftliche Probleme wie die Green Economy oder die vielbeschworene Digitalisierung. Es fasst vielmehr den aktuellen Stand der Diskussionen um die kapitalistische Krise zusammen, indem es Beiträge von zahlreichen namhaften Autor*innen vereint. Dazu zählen u. a. Hartmut Rosa, Katja Kipping, Niko Paech und Frigga Haug, um nur einige zu nennen.

Hervorgegangen ist das Buch aus der Arbeit der oikos Hochschulgruppe Leipzig, in der sich Studierende und Freund*innen der Universität Leipzig seit 2012 mit der Wachstumsfrage auseinandergesetzt und mehrere Veranstaltungen – darunter eine Vorlesungsreihe – zum Thema organisiert haben. Die über die Jahre hinweg eingeladenen Referent*innen sorgten für Beiträge zu dem Sammelband, ergänzt durch weitere Autor*innen.

Im ersten Teil des Buchs bieten verschiedene Beiträge eine Analyse der multiplen Krise aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Texte von Stephan Lessenich zur Externalisierungsgesellschaft, von Ulrich Brand und Markus Wissen zur imperialen Lebensweise und globalen Machtverhältnissen sowie von Hartmut Rosa zu kulturellen Folgen der kapitalistischen Moderne beleuchten unterschiedliche Aspekte der derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnisse. Anschließend tragen Barbara Unmüßig und Steffen Lange mit ihren Beiträgen zur Green Economy (Unmüßig) und Digitalisierung (Lange) dazu bei, diese als Lösungsansätze propagierten Entwicklungen als unzureichend zu entlarven.

Daher geht es im zweiten Teil des Buchs darum, alternative Konzepte zum Wirtschaftswachstum vorzustellen. Dazu zählen beispielsweise das Grundeinkommen, die vier-in-einem-Perspektive oder das Konzept des Buen (Con)Vivir. Die vorgestellten Alternativen sind sehr verschieden, haben unterschiedliche Ziele und Ansatzpunkte. Dies macht jedoch eine der Stärken des Buchs aus, indem es ein Mosaik von Alternativen präsentiert, welches einerseits die Anschlussfähigkeit an mehr Menschen sicherstellt und andererseits die Breite der bereits diskutierten Vorschläge verdeutlicht. Wie für den ersten Teil konnte oikos Leipzig auch hier viele bekannte Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen für ihren Sammelband gewinnen, darunter Friederike Habermann, Niko Paech und Felix Ekardt.

Definitiv lohnenswert ist die Lektüre dieses Buchs für diejenigen, die sich einen Überblick über die Arbeit einzelnen Autor*innen verschaffen wollen, ohne sich jeweils die ganzen Werke anzuschaffen. Denn die kurzen Buchbeiträge sind so geschrieben, dass die Argumentation der Autor*innen darin trotzdem verständlich ist. Ein weiterer Pluspunkt für das Buch ist, dass neben eventuell bereits bekannten Themen oder Argumentationen auch neue Impulse gesetzt werden, wie zu Digitalisierung (Beitrag Lange) oder ganz praktische zum Konsumverhalten (Beitrag von Silke Kleinhückelkotten).

Allerdings ist das Buch nicht als Handlungsanleitung – wie es im Klappentext mit der Formulierung „wie es anders gehen kann“ eventuell durchklingt – zu lesen. Denn bei der Lektüre der Alternativen stellt sich mitunter die Frage, ob es wirklich so gehen kann. Wenn die Rede ist von einem ethischen Welthandel, wie Christian Felber ihn beschreibt oder der gänzlichen Abschaffung der Tauschlogik in einer Ecommony (Beitrag Habermann), dann ist unklar, ob es sich hierbei um eine Utopie im Sinne einer fiktiven Gesellschaftsordnung handelt oder um eine mittelfristig erreichbare Alternative. Insgesamt wabern die Beiträge im zweiten Teil zwischen dem Utopie-Begriff und dem der praktischen Alternativen – was sie nicht weniger lesenswert macht! Denn deutlich wird allemal, dass das Wachstumsparadigma immer weiter an seine Grenzen stößt und daraus Möglichkeiten entstehen, solidarischere Alternativen zu realisieren.

 

Maximilian Becker, Mathilda Reinicke (Hrsg.). 2018. Anders wachsen! München: oekom Verlag.

Anja Höfner hat Soziologie (B.A.) und Nachhaltigkeitsökonomik (M.A.) studiert und arbeitet als Forschungsassistenz am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung zu dem Thema Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation. In bisherigen Forschungsarbeiten hat sie sich mit den Themen Commons und kollaborativer Ökonomie beschäftigt.

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