Am 04. März nahm ich an der eintägigen Konferenz „Alternativen denken. Wirtschaften für Wohlstand und Lebensqualität. Ohne Wachstum – oder mit?“ teil, auf der am Beispiel kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) Alternativmodelle zum vorherrschenden Wachstumsparadigma vorgestellt und diskutiert wurden. Diese Veranstaltung wurde als Abschluss des Projekts „Postwachstumspioniere“ vom Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Kooperation mit und in den Räumlichkeiten der Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltet.
Die fachlich hochkarätig besetzte Konferenz bot den 150 Teilnehmer_innen aus Wirtschaft, Forschung, nachhaltigen Think-Tanks, Medien und Politik die Möglichkeit in verschiedenen Podien und Workshopphasen Alternativen zum vorherrschenden Wachstumsparadigma direkt aus der unternehmerischen Praxis kennenzulernen. Zudem konnten Lehren aus den positiven und negativen Effekten dieser Alternativen für die Verbreitung im gesellschaftlichen Mainstream gezogen werden.
Nach Grußworten von Verena Exner von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU, Osnabrück) – welche das Projekt „Postwachstumspioniere“ gefördert hat – und Thomas Korbun führte Jana Gebauer in angenehm lockerer Art durch das Podium zum Thema „Postwachstumspioniere: Das Projekt und die Unternehmen“. Auf dem Podium stellten sich fünf Vertreter_innen der elf Unternehmen vor, welche in der im Projekt entstandenen Broschüre „Wir sind so frei“ als Postwachstumspioniere porträtiert wurden.
Postwachstumspioniere
Die Broschüre zeigt am Beispiel von ausgewählten kleinen und mittelständischen Unternehmen, dass es sich durch ihre begrenzten Produktionsstätten und finanziellen Spielräume für sie lohnt, kein Wachstum anzustreben. Wachstumsbemühungen ziehen immer größere Veränderungen und Kosten nach sich, welche für KMU häufig keine Vorteile bringen.
Was alle vertretenen Unternehmen meiner Meinung nach einte, war die Erkenntnis, dass sie nur dann wachstumsneutral wirtschaften können, wenn die Anzahl der Mitarbeiter_innen begrenzt werde. Aber auch andere Entscheidungen tragen dazu bei, sich nicht dem Wachstumsparadigma beugen zu müssen. Ob dies für eine Tischlerei wie „Die Möbelmacher“ die Entscheidung gegen Serienproduktionen und die Spezialisierung auf bestimmte Produkte ist oder die Entscheidung des Rostocker Spielzeugfachgeschäfts „Wupatki“ gegen die Einrichtung eines Onlineshops und für mehr Kundenkontakt; mit diesen Entscheidungen positionieren sie sich bewusst abseits der Marktzwänge.
Sowohl die Tischlerei als auch der Schnürsenkelhersteller „CKS“ stellten zudem die Wichtigkeit lokaler Netzwerke für temporäre Kooperationen heraus, welche es mehreren kleineren Unternehmen ermöglicht, bei Spezialaufträgen Maschinen zu verwenden, ohne diese gleich selbst anschaffen zu müssen.
Anstelle des Wachstumsstrebens werden KMU häufig zum Dienstleister an ihren eigenen Produkten, indem sie die Kund_innen bei Reparatur und Rücknahme unterstützen. Zudem sollte eher ein Wachstum an Qualität als an Quantität angestrebt werden, wie dies Dr. Friedrich Hinterberger vom österreichischen Forschungsinstitut SERI anregte.
Wachstum, welches Wachstum?
Aufgrund des Zeitrahmens kam es hier leider nicht zu einer tiefergehenden Diskussion. Dieses Podium leitete jedoch gut in die zur Wissensvermittlung gedachten sogenannten „Lernräume“ über. Aus den fünf verschiedenen zur Auswahl stehenden Workshops wählte ich den von Eugen Pissarskoi geleiteten Workshop „Wachstum, welches Wachtum?“ aus, da dieser mir inhaltlich am allgemeinsten ausgerichtet schien, während sich viele der anderen Angebote aus meiner Sicht direkt an die anwesenden Unternehmer_innen richteten.
In jeweils einem Input stellten Gerd Hofielen („Humanistic Management Practices“) und Daniel Deimling von „MeM – Denkfabrik Wirtschaftsethik“ zunächst die verschiedenen Ebenen, auf denen Wachstum stattfindet (global, national, in Unternehmen und individuell) dar, und sie beschrieben, wie Ansätze zur Veränderung auf jeder dieser Ebenen aussehen könnten. Hier wurde neben der Bedeutung individueller unternehmerischer Entscheidungen die Entwicklung persönlicher menschlicher Reife als entscheidend für den Transformationsprozess genannt. Zusätzlich wurden hier konkrete Beispiele für politische Rahmenbedingungen zur Verbreitung von wachstumskritischen Wirtschaftsweisen aus der Nische heraus genannt, wie Demokratisierung von Wirtschaftsentscheidungen, die Begrenzung von Unternehmensgrößen oder die Verpflichtung zur Internalisierung von Externalitäten wie Umweltschäden in den Preis von Produkten.
Wirtschaften im Zeitwohlstand
Nach den Lernräumen konnten die Teilnehmer_innen aus sechs sogenannten „GestaltungsRäumen“ zwei jeweils einstündige Veranstaltungen auswählen. Diese Workshopphase gab die Möglichkeit zur kreativen und interaktiven Auseinandersetzung mit konkreten Ideen zur Beseitigung von Wachstumszwängen.
Da hier ein Thema behandelt wurde, welches mich konkret beschäftigt, besuchte ich hier zunächst die vom „Zeitpionier“ Gerrit von Jorck geleitete Session „Wirtschaften im Zeitwohlstand“. Dort wurden in Kleingruppen Möglichkeiten für Unternehmen diskutiert, Beschäftigten eine flexiblere Einteilung ihrer Arbeitszeit und Arbeitszeitverringerung zu ermöglichen. Hierbei wurde mir jedoch im direkten Austausch mit einem produzierenden Unternehmer deutlich, dass viele der vorgeschlagenen Möglichkeiten im Produktionsbetrieb nicht so einfach umsetzbar sind und sich bisher häufig nur auf Arbeiten mit kreativer oder geistiger Ausrichtung in Dienstleistungsbetrieben und Forschungsinstituten anwenden lassen.
Der zweite GestaltungsRaum „FruchtStand“ wurde von Jana Gebauer zur Sammlung und Kategorisierung von Ideen für Unternehmen geleitet und gab uns, da wir nur zu viert waren, die Möglichkeit zu einem tieferen inhaltlichen Austausch mit herwig Danzer von den oben genannten „Möbelmachern“. Hierbei ging es vor allem um konkrete Probleme, eigene Produktionsmittel oder Räumlichkeiten zu Kooperationszwecken anderen ähnlich aufgestellten Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Gerade die Frage der Haftung im Schadensfall und das Vertrauen bei Fremdnutzung erschwere in der Praxis tiefergehende Kooperationen zwischen Unternehmen.
Nach diesen sehr intensiven vier Stunden in den verschiedenen Gruppen wurden im Plenum die Hauptideen und -erkenntnisse der Gruppenphase von den Leiter_innen der Workshops zusammengetragen und kurz kommentiert. Die zum Schluss angesetzte öffentliche Podiumsdiskussion mit sehr interessanten Gästen unter dem Titel „Eine neue Wachstumserzählung“ zur positiven Verankerung von Wachstumsalternativen in der öffentlichen Wahrnehmung hätte jedoch gerne vor dem auf Vernetzung der Teilnehmer_innen ausgelegten „NetCafé“ stattfinden können, da vielen der Anwesenden nach acht Stunden die Luft auszugehen schien.
Alles in allem kann die eintägige Konferenz „Alternativen denken. Wirtschaften für Wohlstand und Lebensqualität. Ohne Wachstum – oder mit?“ als großer Erfolg gewertet werden. Für Menschen aus der Postwachstumsforschung bot sich durch die Vernetzung und den Dialog mit interessierten und betroffenen Unternehmen die Möglichkeit zur Verbreitung und Hinterfragung ihrer eigenen Ideen. Auch das breite thematische Spektrum, aus dem die zahlreichen Teilnehmer_innen kamen, wirkte sich sehr fruchtbar auf den weiteren Diskurs aus. Als Student bestärkte die Konferenz mich persönlich in meinem Streben, Wohlstand nicht allein monetär zu definieren, sondern mich in Zukunft für flexible und reduzierte Arbeitszeiten einzusetzen.
Wir haben uns vor kurzem in einem unserer Seminare mit dem Thema „Wirtschaftswachstum Allgemein“ beschäftigt. Schade, dass ich diesen Beitrag nicht vorher gefunden habe. Werde ihn aber an die Teilnehmer weiterleiten.
Vielen Dank
Um den Austausch über Fragen zur Rolle von Unternehmen in einer Postwachstumsgesellschaft auch nach dem IÖW Projekt fortzusetzen, gibt es auf der Plattform Wachstumswende ein spezielles Projekt, dass sich mit der Thematik Postwachstum und Unternehmen auseinandersetzt. Es ist offen für alle Interessierten: https://wachstumswende.de/project/postwachstum-und-unternehmen/
Damit sei gleichzeitig auf die Interaktionsplattform http://www.wachstumswende.de hingewiesen, bei der eine (nicht aufwendige und sinnvolle) Registrierung nötig ist, um an dem Projekt teilzuhaben.