Standpunkte

Allmenden: Vorbilder der Postwachstumsökonomie? I

Kommentare 3

Entfremdung von Lebenswichtigem am Beispiel der Lebensmittelindustrie

Bis heute konnten technische Innovationen den Klimawandel nicht nennenswert aufhalten oder bremsen. Dabei liegt es oft nicht an der Innovation an sich, die durchaus in der Lage wäre, das spezifische Problem umweltfreundlicher zu lösen. Häufig entstehen jedoch durch die neue Technik neue Problemfelder mit anderen negativen Auswirkungen. Oder der sogenannte Reboundeffekt tritt ein, weil die jeweilige Lösung von so vielen Menschen genutzt wird, dass die negativen Auswirkungen in der Summe größer sind als zuvor.

Hinzu kommt eine Entfremdung von fundamentalen Tätigkeiten durch die Existenz von Produkten und Dienstleistungen, die uns angeblich das Leben vereinfachen. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Die Frage ist nur, wie weit die „Vereinfachung“ denn geht. Je mehr wir uns das Leben einerseits vereinfachen, desto komplizierter wird es an anderen Stellen und desto weniger wissen wir von den existenziellen Grundlagen. Dadurch verlieren wir das Wissen um Zusammenhänge beziehungsweise verhindern wir, dass solches Wissen erworben werden kann.

Luft, Wasser und Boden sind unsere Lebensgrundlagen. Wer noch nie ein Samenkorn in die Erde gelegt hat und erleben musste, wie es vertrocknet, wird schwerlich begreifen, dass ein gesunder Boden die Fähigkeit haben muss, Feuchtigkeit zu speichern.  Solche negativen Erfahrungen sind enorm wichtig, um die Konsequenzen des eigenen Handelns einschätzen zu können. Wenn Kinder und Jugendliche nie selbst Gemüse angebaut, nie selbst ein Essen daraus zubereitet haben, fehlen grundlegende Erfahrungen mit unseren Lebensgrundlagen. Als Erwachsene essen sie dann sogenannte Convenience-Produkte und wissen weder etwas über die Zutaten, die Herkunft noch über die Auswirkungen der Herstellung auf die Umwelt.  Außerdem fehlt ihnen die sinnliche Erfahrung, wie gut ein Lebensmittel schmecken kann, wenn es unter natürlichen Bedingungen angebaut und mit den eigenen Händen zubereitet wird.

Am Beispiel von Lebensmitteln sehen wir, wie weit die Entfremdung von Natur und von den Lebensgrundlagen vorangeschritten ist. Wir sind bei der Beschaffung von Lebensmitteln abhängig von internationalen Konzernen der Lebensmittel- und Agrarindustrie. Aufgrund der gigantischen Mobilitätsmöglichkeiten zu inzwischen niedrigsten Preisen sowie durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten   hat dieser Industriezweig jene Entfremdung konsequent vorangetrieben. Unterstützt wurde diese Entwicklung durch weltweite Handelsabkommen und einzelstaatliche Entscheidungen wie die Aufhebung der Flächenbindung nach der Jahrtausendwende. Ab diesem Zeitpunkt konnten konventionell arbeitende Landwirte durch Zukauf von Futtermitteln den Viehbestand maßlos erhöhen, da sie nicht mehr allein auf das auf der eigenen Landfläche wachsende Futter angewiesen waren. Nebenbei führte dieser Prozess auch dazu, dass Rinder und Schweine mit artfremdem, hochkonzentriertem Kraftfutter – bevorzugt aus Soja – gefüttert wurden. Der Milchertrag pro Kuh stieg bis auf früher unvorstellbare 10.000 Liter pro Jahr, was über 27 Litern Milch täglich entspricht!

Dass dieses scheinbar unbegrenzte Wachstum auch von der Politik gefördert wurde, ist kaum nachvollziehbar. Doch auch die Endverbraucher in Deutschland haben die niedrigen Preise von Milch und Milcherzeugnissen nicht hinterfragt, sondern es sogar noch für positiv befunden, billigst einkaufen zu können. Es ist jedoch auch fraglich, wie alle Individuen die komplexen Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft, EU-Subventionen, internationaler Agrar- und Lebensmittel-industrie und weltweit tätigen Einzelhandelskonzernen überblicken sollen.

Die Allmenden – Organisation und Einbindung der Dorfgemeinschaft

Wie haben denn im Kontrast zu heute die Menschen im Mittelalter und anderen Epochen ihre Lebensgrundlagen sichergestellt?

Im Zeitraum zwischen 1300 und 1800 gab es die sogenannten Allmenden, unter denen man ein im Besitz einer Dorfgemeinschaft befindliches Grundeigentum mit Rechten und Pflichten versteht.  Auf Allmenden traf man insbesondere im süddeutschen Raum sowie in der Schweiz und Österreich, aber auch in Angelsachsen und Skandinavien gab es diese sehr weit verbreitete Form des Gemeinschafts- und Genossenschaftsbesitzes. Die Allmenden waren überlebenswichtig für alle in der Gemeinschaft, denn die Existenzgrundlagen der damaligen Zeit waren für alle gleichermaßen: Holz, Weideland und Ackerland.

Aufgrund der sehr begrenzten Mobilität der Menschen im Vergleich zu heute, mussten die Menschen ihre Lebensgrundlagen in einem Radius von wenigen Kilometern selbst erschaffen. Als Einzelner war dies kaum möglich, sondern nur durch die Zusammenarbeit der ganzen Gruppe. Die Allmende-Mitglieder waren dabei auf drei Ebenen eingebunden:

  1. Das Recht an der Allmende war vererbbar (an die männlichen Nachkommen).
  2. Entscheidungen über die Nutzung wurden gemeinsam getroffen, wobei jeder einzelne Haushalt ein Mitspracherecht hatte.
  3. E gab eine sogenannte „herrschaftliche Einbindung“. Dieser Lokalherr konnte ein Kloster, ein Fürst, eine Reichsstadt oder ähnliches sein und hatte eine rechtliche Teilhabe an der Allmende sowie vertrat sie auch nach außen.

Durch diese dreifache Einbindung war der Bewegungsrahmen des Einzelnen relativ begrenzt. Im Gegenzug waren die Allmende-Mitglieder abgesichert durch die Gemeinschaft.

Zum damaligen Zeitpunkt war Holz als Brenn- und Baumaterial überlebenswichtig. Daraus ergab sich, dass es keine Kahlschläge gab und auch der individuelle Verkauf von Holz nicht erlaubt war.

Beim Weideland gab es sogenannte „Kuhrechte“. Eine bestimmte Anzahl an Rindern, Schweinen, Schafen usw. durften pro Haushalt eingestellt werden, Gemeindehirten waren für die Tiere verantwortlich. Kernanliegen war es, eine Überweidung zu vermeiden, sodass jeder Haushalt nur die von der Gemeinschaft beschlossene Anzahl von Tieren auf die Weide bringen durfte. Engpassfaktor bei der Tierhaltung war der Grasvorrat im Winter. Das Graserntevolumen und die Länge des Winters waren die zu beurteilenden Variablen. Je größer die Anzahl der Tiere, desto größer das Risiko bei einer Fehlbewertung.

Das Ackerland wurde ebenfalls durch die Gemeinschaft organisiert, es entstand die Dreifelderwirtschaft. Dadurch sollten die Bodenqualität erhalten und die Nährstoffrückführung durch Weidetiere gewährleistet werden. Individuelle Bepflanzungen waren nicht vorgesehen, die Auswahl was gepflanzt/gesät wurde, das Pflügen, der Erhalt der Wege, der Erntezeitpunkt und die Rotationspläne für die Dreifelderwirtschaft wurden von der Gemeinschaft festgelegt.

Dies ist der erste Beitrag einer zweiteiligen Artikel-Serie. Zum zweiten Teil zum Thema Solidarische Landwirtschaft und die SlowFood-Bewegung gelangen Sie hier.

Heiner Putzier hat an der LMU München Betriebswirtschaft studiert und war von 1980 bis 2018 als Vertriebsmanager tätig. Er betreute deutsche und international arbeitende Einzelhändler im Lebensmittel- und Drogeriebereich, seit Juni 2019 ist er im Ruhestand. 2011 wurde er Mitglied bei SlowFood, seit 2014 leiten seine Frau und er die Region „Pfaffenwinkel“ südwestlich von München und organisieren Vorträge zum Thema Lebensmittel und Landwirtschaft im Raum Weilheim. Sie sind aktive Mitglieder im Netzwerk Gartenwinkel-Pfaffenwinkel und haben 2018 die Ausbildung zum/zur Blühbotschafter/in absolviert. Im Dezember 2020 hat Heiner Putzier den Arbeitskreis „Lebensmittel & essen“ in Weilheim gegründet.

3 Kommentare

  1. Die dramatische Entwicklung durch Industrialisierung der Landwirtschaft und der Lebensmittelverarbeitung und des -handels mit Entfremdung zu beschreiben, ist sehr zutreffend und hoffentlich umkehrbar, wenn Essen wichtiger wird. Billig ist eben nicht gut. Die deutsche Steuerpolitik in diesem Bereich wurde schon vor 3 Jahrzehnten als subventionierte Naturzerstörung beschrieben von Fachleuten (Priebe).
    Stehen wir vor einer eintretenden Erkenntnis von Versagen geschaffener Strukturen?
    Der Gedanke der Allmende wäre meines Erachtens auch zu übertragen auf die Klimanotlage. Die lächerlichen Klimaschutzmaßnahmen der Industriestaaten, gerade der demokratischen neben China und weiteren bringt den globalen Notstand weiter voran. Wir in Deutschland haben meines Wissens historisch einen viel stärkeren Anteil als die aktuellen 2 %, nämlich 5%. Strukturpolitik ist niemals festgeschrieben, sondern umkehrbar. Das CO2-Budget, das verbleibt, darf nicht von den „höher“ entwickelten, ich sage verwickelten Staaten, überbeansprucht werden, das ist nicht im geringsten sozial oder wissenschaftlich zu rechtfertigen. Welche Strukturen wollen wir erhalten und wo sind wir fähig umzusteuern?
    Corona ist nicht nur ein vermaledeites Virus, wie Herr Steinmaier es nennt, es ist meiner Sichtweise entsprechend eine Reaktion der Natur auf ein übergriffiges Verhalten des Menschen, insbesonders des homo industrialis industrialis. Industrie kommt von Fleiß, Betriebsamkeit, die wir maßlos übertrieben haben. So sehe ich den Menschen, der nur noch „fleißig“ ist in Arbeit und Freizeit, aber nicht mehr über die Folgen seiner Überativität nachdenken kann, weil er eben schon so entfremdet ist.
    Mir erscheint es weiterhin weltfremd, in einer fortschreitenden Digitalisierung das Heil zu suchen.
    Um auf die Intention des Artikels zurückzukommen: Letztes Frühjahr habe ich rein zufällig den ältesten bologisch-dynamischen Hof Deutschlands bei Bad Saarow, die Marienhöhe kennengelernt. Dort wurden von bis zu 50 Menschen in Handarbeit 1,3 ha Futtermöhren gejätet und im Herbst gemeinschaftlich geerntet. Da kommen nicht nur Menschen zusammen zur Arbeit, sondern auch zum Miteinander etwas Erleben in der Natur. Solche Aktionen sollten Normalität sein und sind eine gute Alternative zu Flugreisen. Wo und wie entsteht Nahrung hier im Land, was ist wann reif und deswegen auch günstig und regional zu haben? Hier liegt ein wichtiger Bildungsauftrag der noch existierenden Höfe und zunehmenden SoLaWis und wächst hoffentlich ein allgemeines Interesse, auch von jungen Menschen und Staat. Vor 3 Wochen war die alternative Demo „Wir haben es satt“ mit über 10 000 Fußabdrücken für eine Agrarwende. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, aber er sollte da mehr wissen, wo es herkommt und wie diese industriellen Abläufe unser Leben verarmen.

  2. Claudia Lojewski-Bahr H sagt am 5. Februar 2021

    Hallo Herr Putzier,
    Haben Sie schon einmal eine Allmende gegründet? Und ginge das auch inmitten einer Stadt/ auf einer Parkfläche? WIevieler Mitgründer bedarf es und wer wäre Ansprechpartner der Stadt? Gibt es für Anrainer an Parkflächen ein Recht, ein grösseres Gemüsebeet anzulegen?
    Ich würde mich gerne für ein solches einsetzen hier in Ostfriesland.
    Mit freundlichem Gruß!

    • Heiner Putzier sagt am 15. Februar 2021

      Liebe Claudia Lojewski-Bahr,
      eine Allmende gegründet habe ich noch nicht. Allerdings baue ich selbst seit 2014 auf einem sogenannten „Sonnenacker“ in bzw. bei Weilheim mien eigenes Gemüse in den Monaten April bis Oktober an. Nähere Informationen dazu finden Sie unter https://www.unserland.info/weilheim-schongauer-land/weilheim-schongauer-land-projekte/sonnenaecker. Im Dezember 2020 habe ich den Arbeitskreis „Lebensmittel & essen“ in Weilheim gegründet. Das Thema „Urban Gardening“ steht auf unserer ToDo-Liste und wir werden versuchen mit der Stadt Weilheim geeignete Flächen innerhalb des Stadtgebiets zu finden, auf denen man Gemüse, Kräuter oder Obst/Beeren anbauen kann. Ob das erfolgreich sein wird, kann ich heute noch nicht sagen, wir stehen erst am Anfang unserer Bemühungen.
      Vielleicht ist folgende Webseite für Sie auch interessant: https://www.edicitnet.com . Hier geht es um die „essbare Stadt“ und es ist ein Zusammenschluss von verschiedenen Kommunen, Firmen und Organisationen, die sich mit dem Thema „Urban Gardening“ befassen.

      Grundsätzlich glaube ich nicht, dass es ein Recht auf das Anlegen eines größeren Gemüsebeets gibt, das auf einer Fläche liegt, die nicht in Ihrem Eigentum ist. Suchen Sie sich Mitstreiter und gründen Sie in Ihrer Kommune einen Arbeitskreis, der sich mit diesem Thema befasst. Alleine ist es auf jeden Fall viel schwerer etwas zu erreichen , als wenn Sie einer Gruppe von 10 oer 20 Mitbürgern angehören.

      Ich hoffe Ihre Fragen einigermaßen beantwortet zu haben und wünsche Ihnen viel Erfolg

      Herzlichen Gruß

      Heiner Putzier

Schreibe einen Kommentar zu Heiner Putzier Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.