Im Wahlkampf für die Bundestagswahl am 23. Februar wird Klimaschutz kaum thematisiert, stattdessen dominieren Zuwanderung und Wirtschaft die politische und öffentliche Debatte. Im ARD-DeutschlandTrend von Anfang Januar 2025 nannten 37 Prozent der Befragten das Thema Zuwanderung und 34 Prozent die Wirtschaft als eines der beiden wichtigsten politischen Probleme in Deutschland. Umwelt und Klima, die im Vorfeld der letzten Bundestagswahl 2021 noch auf Platz eins der wichtigsten politischen Probleme in Deutschland lagen, wurden von nur 13 Prozent erwähnt.
Dennis Eversberg hat im Herbst 2024 in einem zweiteiligen Blogpost auf Basis von Umfragedaten, die wir Ende 2021 in unserem Projekt „Mentalitäten im Fluss“ an der Uni Jena erhoben haben, darauf hingewiesen, dass wir es hier weniger mit einer generellen Abkehr von Themen wie Klima, Transformation und Wachstumskritik zu tun haben, als vielmehr mit sich verschiebenden Kräfteverhältnissen zwischen Bevölkerungsteilen mit unterschiedlichen Interessen und Mentalitäten in einem mehrdimensionalen Klassenkonflikt um Fragen von sozial-ökologischer Transformation.
Die jüngsten Ereignisse, insbesondere das Aus der Ampelregierung und der Tabubruch von Friedrich Merz, für einen CDU/CSU-Antrag die Zustimmung der AfD billigend in Kauf zu nehmen, bestätigen die Fortsetzung von politischen Trends, die sich schon vor drei Jahren in unseren Daten abzeichneten: Die Schwächung von ökosozialen Mentalitäten und eine zunehmende Annäherung konservativer und autoritärer Kräfte.
Klimagerechtigkeit und Suffizienz als (Nicht-)Themen für die Wählerschaft der Parteien
Gibt es unter der Oberfläche dieser politischen Kräfteverschiebungen und der aktuell niedrigen Aufmerksamkeit für Klima- und Umweltthemen im Allgemeinen konkrete klimapolitische Themen, die den Menschen wichtig sind? Wir betrachten dazu im Folgenden zwei wichtige Facetten von Klimaschutz aus Postwachstumsperspektive: Klimagerechtigkeit und Suffizienz. Durch den Vergleich von Ergebnissen aus unserer Studie von 2021 mit den Daten einer Wiederholungsbefragung von Ende 2023 lässt sich erkennen, wie sich die Einstellungen dazu in den letzten Jahren geändert haben und wie sie sich zwischen Anhänger:innen der einzelnen Parteien unterscheiden. Die Aussagen, zu denen die Befragten Zustimmung oder Ablehnung äußern konnten, waren:
1. Um den Klimawandel zu bewältigen, müssen die reichen Länder auf weiteres Wirtschaftswachstum verzichten. (Klimagerechtigkeit)
2. Am wichtigsten ist es, insgesamt viel weniger Energie und Ressourcen zu verbrauchen. (Suffizienz)
Die Zustimmung zur ersten Aussage ist von Ende 2021 bis Ende 2023 deutlich gesunken (Tabelle 1): Während sich 2021 ein beachtlicher Teil der Befragten (43 Prozent) deutlich vom in der Politik dominierenden Wachstumsparadigma distanzierte, stimmte dieser Postwachstumsposition zwei Jahre später – mit Krieg in der Ukraine und den dadurch hervorgerufenen Preissteigerungen im Bewusstsein – nur noch ein Drittel der Befragten zu. Ganz klar: In Zeiten, in denen es schwieriger wird, den eigenen Lebensstandard zu erhalten und es weniger zu verteilen gibt, verschieben sich die Prioritäten zugunsten einer starken Wirtschaft. Allerdings bedeutet dies nicht, dass Natur- und Klimaschutz keine Bedeutung mehr zugemessen wird: Ganze drei Viertel der Bevölkerung befürworten generell das Prinzip der Suffizienz (Aussage 2). Dieser Anteil ist auch über die Krisenjahre stabil geblieben.
Wie hängen diese Haltungen und Entwicklungen mit den politischen Orientierungen der Befragten zusammen? Dazu differenzieren wir die Antworten der Befragten nach ihrer Parteipräferenz (Tabelle 2).
Hinsichtlich Klimagerechtigkeit lassen sich drei zentrale Ergebnisse ausmachen. Erstens ist eine mehrheitliche Zustimmung zum Wachstumsverzicht reicher Länder 2021 nur bei Wähler:innen der Grünen und Linken festzustellen (57 bzw. 61 Prozent), 2023 sogar nur noch bei Linken-Wähler:innen. Zweitens zeigt sich auch bei allen anderen Wähler:innen-Gruppen (außer derjenigen der SPD), dass einem Wachstumsverzicht zum Klimaschutz 2023 weniger zugestimmt wurde als noch 2021, dass dieser Rückgang aber vor allem bei den Wähler:innen derjenigen drei Parteien am stärksten ausfällt, zwischen denen sich das Erstarken und die Annäherung konservativ-steigerungsorientierter und autoritärer Kräfte auf politischer Ebene abspielt: CDU/CSU, FDP und AfD. Die Anhänger:innen dieser Parteien scheinen sich weitgehend einig zu sein, dass ein Wachstumsverzicht für den Klimaschutz nicht in Frage kommt. Drittens ist sowohl 2021 als auch 2023 zu erkennen, dass die Zustimmungswerte der Befragten mit Präferenz für die drei Parteien der Ampelregierung recht weit auseinander liegen: Grünen- und FDP-Wähler:innen lagen zur Beginn der Ampelregierung 2021 um 23,4 Prozentpunkte auseinander, 2023 sogar um 26,2. Dies spiegelt auch die großen Differenzen zwischen den Parteien wider, die letztlich zum Bruch der Koalition führten.
Das Thema Klimagerechtigkeit zeigt sich damit als eine Facette im Transformationskonflikt, bei der die Auffassungen in den politischen Lagern stark divergieren, es also schwer fallen dürfte, zu einer Einigung zu gelangen. Sie ist auch Gegenstand eines Zielkonfliktes zwischen Klimaschutz und wohlstandsbewahrendem Wirtschaftswachstum: Ist Letzteres wie in den vergangenen Krisenjahren gefährdet, muss beim Klimaschutz zurückgesteckt werden, so die Argumentation insbesondere im konservativ-steigerungsorientierten Mentalitätsspektrum und bei autoritären Kräften. Angesichts dieses Befundes und der erwarteten Wahlerfolge der CDU/CSU sowie der AfD wird Klimagerechtigkeit aller Voraussicht nach kein Thema für die zukünftige Bundesregierung sein.
Bei der Frage der Suffizienz könnte es anders sein. Im Jahr 2021 waren bei der CDU/CSU (70 Prozent) und der FDP (77 Prozent) große Mehrheiten von der Bedeutung von Reduzierungen des Verbrauchs überzeugt. Die Zustimmung bei SPD, Grünen und Linken liegt sogar noch höher zwischen 80 und 90 Prozent. Hingegen ist nur die Hälfte der potenziellen AfD-Wähler:innen der Meinung, dass eine Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs wichtig sei. Auch bei diesem Thema zeigen sich also Unterschiede zwischen ökosozialen, konservativen und autoritären Kräften. Sie fallen aber mit Ausnahme der nach unten stark abweichenden AfD Anhänger:innen nicht so groß aus. Interessant ist darüber hinaus die Zunahme an Befürworter:innen von Reduktion bei der Wählerschaft der CDU/CSU um ca. 10 Prozentpunkte auf fast 80 Prozent Zustimmung Ende 2023. Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass die Krisenjahre bei konservativ eingestellten Menschen schon vorhandene Dispositionen zu Sparsamkeit und Mäßigung nochmals verstärken, so dass Appelle, Energie und Ressourcen zu schonen, häufiger befürwortet werden. Dieser Effekt könnte auch auf die (bürgerlichen) Grünen-Wähler:innen zutreffen, bei denen die Zustimmung zur Notwendigkeit von Reduktion noch weiter auf rund 93 Prozent gestiegen ist. Dagegen hat sowohl bei den Anhänger:innen der Linken als auch der FDP die Idee der Suffizienz über die Krisenjahre an Attraktivität verloren. Vermutlich aus verschiedenen Gründen: Während Linken-Wähler:innen häufig über weniger ökonomische Mittel verfügen, somit härter von Preissteigerungen betroffen sind und damit für sie Aufforderungen, weniger zu verbrauchen – durchaus berechtigt – als zynisch erscheinen mögen, könnte Suffizienz für die grundsätzlich eher steigerungsorientierten FDP-Wähler:innen weniger wichtig geworden sein, weil sie der Vorstellung im Weg steht, die Krise lasse sich am besten durch die umfassende Aufhebung aller Beschränkungen für die Wirtschaft bewältigen.
Insgesamt ist die prinzipielle Zustimmung zu Suffizienz aber überraschend hoch und hat sich auch durch die Krisenjahre als stabil erwiesen. Das Thema bietet – im Gegensatz zu Klimagerechtigkeit durch Wachstumsverzicht – die Chance auf eine mehrheitsfähige Politik, auch über die Grenzen verschiedener Mentalitätsspektren und politischer Lager hinweg. Aus einer Postwachstumsperspektive wäre es wünschenswert, dass die CDU/CSU als wahrscheinliche Wahlsiegerin beim Thema Reduktion den Fokus stärker auf den Energie- und Ressourcenverbrauch legt, anstatt bei der sozial und ökologisch dringend nötigen öffentlichen Infrastruktur zu kürzen. Nicht nur ihre eigenen Wähler:innen, sondern die große Mehrheit der Menschen in Deutschland würden es ihr danken.