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Wandel in der Arbeitswelt? Flexibilisierung und Möglichkeiten der individuellen Arbeitszeitgestaltung (Teil I)

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Im Rahmen der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ konzentrierte sich ein Teilbereich auf die Themen „Arbeitswelt, Konsumverhalten und Lebensstile“. In einem Gutachten für diese Projektgruppe untersuchten Althammer et al. (2012) die Umsetzbarkeit neuer Arbeitszeitmodelle vor dem Hintergrund ihrer Finanzierbarkeit. Dieses Gutachten wurde im Abschlussbericht der Kommission relativ breit rezipiert; allerdings fehlen konkrete Handlungsempfehlungen und die Festlegung auf ein bestimmtes Ziel. Damit wird ein Problem dieser Projektgruppe offenkundig. Denn ihre Prämisse lautete „we agree that we disagree“ und folglich war ihr Endergebnis eine Typologisierung künftigen Arbeitslebens, die drei verschiedene Modelle für die Gestaltung des Arbeitslebens anbietet (vgl. Enquete Kommission 2013, S. 815).

Der Wandel von Arbeitszeiten: Flexibilisierung und Umverteilung

Der Wandel von Arbeitszeiten ist eine unbestrittene Tatsache der modernen Arbeitswelt. Seit langem verlieren die Normalarbeitszeit und -arbeitsverhältnisse an Bedeutung. Atypische Beschäftigungsformen werden zunehmend normal und immer mehr Menschen arbeiten kürzer oder auch deutlich länger. Es herrscht ein Ungleichgewicht in der Verteilung der Arbeitszeiten. Aber auch die Ansprüche an diese steigen, sie sollen beispielsweise mit der Familie, Weiterbildungen oder dem Alter vereinbar sein. Studien zeigen, dass es seit den 2000er Jahren wieder zu einer Zunahme der Wochenarbeitszeit kommt, Betriebe ihre Arbeitszeiten nach oben setzen und ein Teil der Mehrarbeit weder finanziell noch als Freizeit kompensiert wird (vgl. beispielsweise Seifert 2005, Hunt 2012, Holly/Mohnen 2012). Diese Entwicklung kommt den Wünschen der meisten Beschäftigten nicht entgegen, da längere Arbeitszeiten und ein flexiblerer Einsatz nicht unbedingt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern oder die Work-Life-Balance verbessern. Damit stehen sich zwei widersprüchliche Interessen gegenüber: Flexibilität und verlängerte Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich gelten auf der einen Seite (aus neoliberaler Sicht) als Grundlage für Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung; auf der anderen Seite stehen die Wünsche der Beschäftigten, die sich schlecht mit diesen Anforderungen verknüpfen lassen.

Insbesondere Frauen sind von atypischer Beschäftigung betroffen

Ein kurzer Blick auf die Verteilung der Erwerbsformen in Deutschland zeigt, dass die Anzahl der Normalarbeitsverhältnisse in den letzten 20 Jahren deutlich abgenommen hat und die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse steigt (vgl. Statistisches Bundesamt 2012, S. 343–369). Besonders Frauen sind zunehmend in diesen Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Im Gegenzug hat die Ausübung von Normalarbeitsverhältnissen bei Frauen in den letzten 20 Jahren um 14% abgenommen. Dasselbe Muster findet sich auch bei den Männern, allerdings in weniger stark ausgeprägter Form. Damit zeigt sich, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, die weitreichende Folgen haben. Die Untersuchung von Arbeitszeitpräferenzen macht deutlich, dass Wirklichkeit und Wunsch in vielen Fällen nicht übereinstimmen. Die Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern entwickelte sich in den letzten 20 Jahren höchst unterschiedlich. So nahm die Erwerbspartizipation bei Frauen zu, allerdings vor allem im Bereich der Teilzeitbeschäftigung. Studien weisen darauf hin, dass Frauen ihre Arbeitszeit gerne verlängern würden (vgl. Wangen 2011, S. 5ff.). So zeigen Berechnungen auf Basis des Sozioökonomischen Panels, dass Frauen in regulären Teilzeitbeschäftigungen ihre Wochenstunden im Schnitt um vier Stunden und Frauen in geringfügigen Teilzeitbeschäftigungen ihre Wochenarbeitszeit um neun Stunden erhöhen möchten. Damit läge die präferierte Arbeitszeit bei 27 bzw. 21 Wochenstunden. Würden alle Arbeitszeitpräferenzen von Frauen berücksichtigt und in die Analyse einbezogen, würde die Wochenarbeitszeit für Frauen 32 Stunden betragen (vgl. Wangen 2011, S. 6).

Ein Gender Gap existiert auch bei den Arbeitszeiten

In den letzten 20 Jahren sind die Wünsche in Bezug auf die Erwerbszeiten bei den Männern relativ konstant geblieben; 38,8 Stunden gilt als ideale Wochenarbeitszeit (vgl. Holst 2007, S. 211). Der Unterschied in den Arbeitszeitwünschen zeigt sich weniger im Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland als zwischen Frauen und Männern. In diesem Zusammenhang kann von einem Gender Gap gesprochen werden. Fest steht, dass lange Arbeitszeiten bei beiden Geschlechtern nicht gewünscht sind. Studien zeigen, dass viele Beschäftigte in Vollzeitbeschäftigungen ihre Arbeitszeiten reduzieren möchten (vgl. Holly und Mohnen 2012, S. 8). So arbeiten 52% der Männer mehr als 41 Wochenstunden, was aber nur 16% auch als wünschenswert empfinden. Grundsätzlich gilt in Deutschland, genauso wie im europäischen Ausland, dass eine Reduzierung von langen Arbeitszeiten und eine Verlängerung von kurzen Arbeitszeiten geschlechtsunabhängig – wenn auch in unterschiedlich starker Ausprägung – erwünscht ist.

Diese deskriptiven Ergebnisse weisen auf einen Reformbedarf am deutschen Arbeitsmarkt hin. Dabei sollten Arbeitszeiten umverteilt, aber auch ein gesellschaftlicher Wandel angestoßen werden. Erste Gedanken dazu werden in einem zweiten Beitrag diskutiert.

Literaturverzeichnis

Althammer, Jörg; Kühn, Marion; Sommer, Maximilian (2012): Umsetzung neuer Arbeitszeitmodelle vor dem Hintergrund ihrer Finanzierbarkeit. Expertise für die Projektgruppe 5 „Arbeitswelt, Konsumverhalten und Lebensstile“ der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, S. 1–75.

Enquete Kommission (2013): Schlussbericht. der Enquete Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität. Online verfügbar unter http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/Schlussbericht/17-13300.pdf.

Holly, Sarah; Mohnen, Alwine (2012): Impact of working hours on work-life balance. In: SOEP Papers (465), S. 1–33.

Holst, Elke (2007): Arbeitszeitwünsche von Frauen und Männern liegen näher beieinander als tatsächliche Arbeitszeiten. In: DIW Wochenbericht 74 (14-15), S. 209–223.

Hunt, Jennifer (2012): Flexible Work Time in Germany. Do Workers Like It And How Have Employers Exploit It Over The Cycle? In: SOEP Papers (489), S. 1–55.

Seifert, Hartmut (2005): Zeit für neue Arbeitszeiten. In: WSI Mitteilungen (8), S. 478–483.

Statistisches Bundesamt (2012): Statistisches Jahrbuch 2012. Kapitel 13 Arbeitsmarkt.

Wangen, Susanne (2011): Ungenutzte Potentiale in der Teilzeit. Viele Frauen würden gerne länger arbeiten. In: IAB Kurzbericht (9), S. 1–8.

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