Neues aus der Wissenschaft

Wir können uns ändern

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Sind Gene, Kapitalismus, Machtpolitik oder mangelnde Bildung schuld, wenn die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft nicht wie gewünscht gelingt? Oder wenn mal wieder mein Plan scheitert, weniger Fleisch und Süßigkeiten zu essen? Was treibt Menschen und Gesellschaften an, was ermöglicht Wandel, und was blockiert ihn? Fragen, die den Kern des Nachdenkens über Politik, Zukunft und den einzelnen Menschen bilden.

Mein neues Taschenbuch »Wir können uns ändern. Gesellschaftlicher Wandel jenseits von Kapitalismuskritik und Revolution« (Oekom Verlag, 20. März 2017, 160 Seiten, 14,95 Euro) liefert dazu eine kompakte wie ganz neue Wege einschlagende Analyse.

Die Krise der EU oder das bloße Reden von Nachhaltigkeit – just die Gebildeten sind die größten Umweltsünder/innen – bleiben zum Teil rätselhaft, wenn man allein bei Hirnforschung oder Kapitalismuskritik stehen bleibt. Versteht man gerade menschliche Gefühle und die unbewussten und zugleich wandelbaren Vorstellungen von Normalität besser, lässt sich gesellschaftlicher und individueller Wandel verstehen und sogar konstruktiv ermöglichen. Und zwar ohne eindimensional alles auf »den« Kapitalismus zu schieben oder in eine modische, aber folgenlose Revolutionsrhetorik zu verfallen.

Neue Perspektiven durch Interdisziplinarität

Historische Beispiele gelungener oder gescheiterter Veränderungen helfen ebenfalls beim Verständnis. Wie kam eigentlich das Wachstum in die Welt? Und ist das Aufkommen totalitärer Regime im 20. Jahrhundert wirklich allein über autoritäre Kulturtraditionen, Wirtschaftskrisen, Gewalteinsatz und scheinbar charismatische Führerpersönlichkeiten erklärbar? Erst wer dies versteht, hält auch den Schlüssel zum gesellschaftlichen und persönlichen Wandel in der Hand. Fundamental nötig für ein weiterführendes Nachdenken über Wandel ist, dass die Einseitigkeit und wechselseitige Ignoranz der verschiedenen verhaltenswissenschaftlichen Fächer endet. Ökonomen gegen Soziologen, Psychologen gegen Ethnologen und Soziobiologen – damit möchte ich konsequent Schluss machen und dadurch eine ganz neue Perspektive eröffnen.

Grenzen technischer Lösungen

Mein wichtigstes, aber nicht einziges Beispiel ist der Klimaschutz. Das Pariser Klimaabkommen schreibt vor, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, besser noch 1,5 Grad. Das verlangt weltweit Null-Emissionen bis 2038 beziehungsweise bis 2027. In allen Sektoren, also auch bei Wärme, Treibstoff und Dünger. Die damit verbundenen drastischen Folgen diskutiert bislang jedoch fast niemand. Zwar gehen Klimaschutz und Wachstum zusammen, solange man allein auf technische Optionen wie erneuerbare Energien und Energieeffizienz vertraut, um die fossilen Brennstoffe bei Strom, Wärme, Treibstoff oder Dünger zu ersetzen. Neue Technik kann man verkaufen und damit Wachstum erzielen. Aber allein mit Technik erreicht man die genannten Ziele kaum. Die Herausforderung ist schlicht zu groß.

Dazu kommt: Wir werden zwar technisch immer besser, aber auch reicher, womit immer mehr Emissionen entstehen. Zudem fehlen wirkungsvolle technische Lösungen für einige Emissionsbereiche, etwa in der Landwirtschaft. Bisherige Statistiken und Prognosen beruhen zudem auf massiven Schönrechnungen. Industriestaaten wie Deutschland reduzieren angeblich Emissionen, in Wirklichkeit steigen die Emissionen unseres Lebensstils jedoch. Wir verlagern sie nur schlicht in die Schwellenländer, denn von dort kommen zunehmend unsere Konsumgüter. Außerdem reden alle nur vom Klima. Andere Umweltprobleme wie die Degradation von Böden und Ökosystemen gefährden den Menschen ebenfalls auf Dauer existenziell und müssen gleichzeitig angegangen werden. Die Lösung liegt auf der Hand: der Natur mehr Raum geben. Doch Technik alleine reicht dafür noch weniger aus als im Klimaschutz.

Keine Nachhaltigkeit ohne einen veränderten Lebensstil

Neben grüner Technik gehört zum Umweltschutz damit auch ein genügsamerer Lebensstil. Es reicht also nicht, nur effizientere Autos zu fahren – wir müssen wieder mehr zu Fuß gehen, oder das Fahrrad, Bus und Bahn benutzen. Gegen diese unbequeme Wahrheit helfen keine Mogelpackungen wie riesige Aufforstungen, um Klimagase zu binden. Denn deren Ausmaße müssten gigantisch sein, will man damit substanziell Emissionen reduzieren.

Die Wende zu einer nachhaltigeren Gesellschaft funktioniert also nicht ohne einen neuen Lebensstil. Wir müssen weniger konsumieren. Allerdings wird dann auch weniger verkauft werden; etwa deutlich weniger Urlaubsflüge und Autos. Ein Ende der Wachstumsgesellschaft liegt damit nahe, zunächst einmal in den Industriestaaten, die laut Paris-Abkommen beim Klimaschutz vorangehen sollen. Dem entkommt man auch nicht mit Visionen einer reinen Dienstleistungswelt ohne jeden ökologischen Fußabdruck. Auch Dienstleistungen wie Flüge oder IT-Technologien verbrauchen jede Menge Ressourcen.

Herausforderung Übergang

Das Problem ist nur: Bislang hängen vom Wachstum zentrale gesellschaftliche Institutionen ab, etwa der Arbeitsmarkt, das Rentensystem, die Banken und das System der Staatsverschuldung. Alternativkonzepte für deren Befreiung vom Wachstumszwang sind über einzelne Ideen wie Arbeitszeitverkürzung bislang kaum hinausgekommen. Erst recht fehlen Konzepte für die schwierige Übergangsphase in die Zeit nach dem Wachstum – ohne massive Brüche und soziale Unruhen, wie wir sie in den Eurokrisen-Staaten erlebt haben, wo innerhalb kürzester Zeit Wachstum in Schrumpfung verkehrt wurde.

Glück durch Kooperation?

Viele Postwachstums-Anhänger/innen sehen darin offenbar kein Problem. Letztlich werde die Schrumpfung schrittweise eine solidarische, gemeinwohlorientierte Ökonomie hervorbringen, sagen sie, einschließlich entsprechender politischer Mehrheiten. Ohne Kapitalismus wären die Menschen glücklicher, denn dann sei die Konkurrenzgesellschaft passé – und der Mensch sei primär kooperativ oder gar altruistisch und werde nur durch den Kapitalismus egoistisch deformiert.

Doch das ist zu kurz gesprungen. Wie die Glücksforschung zeigt, ist Glück relativ. Glücklich macht also das Mithalten mit anderen, weniger der Malaysia-Urlaub an sich. Ein genügsameres Leben kann deshalb glücklich machen, wenn man sich anerkannt fühlt. Aber wenn Leute im Verhältnis zu ihrer Umgebung mehr haben, steigen häufig auch ihre Glückswerte. Und nicht jede/r träumt davon, in Agrarkooperativen das eigene Essen anzubauen, statt in den kapitalistischen Supermarkt zu gehen.

Normalitätsvorstellungen sind nicht in Stein gemeißelt

Und so wichtig der kulturelle Einfluss etwa des Kapitalismus auch ist: Schon evolutionsbiologisch dürften Menschen eine gewisse Neigung zum Egoismus haben. Ohne direkt lebensgefährliche Bedingungen wie in der Steinzeit ist unsere Neigung zur Kooperation oft begrenzt. Besonders schwer hat es die Kooperation, wenn sie wie beim Klimaschutz weltweit stattfinden müsste – statt in relativ überschaubaren Kleingruppen wie in grauer Vorzeit. Mit klaren, durchaus kurzsichtigen Eigennutzenkalkülen ist also zu rechnen, und das nicht nur bei Manager/innen und Politiker/innen.

Wir alle sind über Arbeitsplätze, Konsumwünsche oder Pensionsfonds mit der Wachstumswelt verflochten. Und wir agieren nur bedingt rational. Allzu menschliche Neigungen zu Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung, Geltungsstreben und eingefahrenen Normalitätsvorstellungen erschweren jeden grundlegenden Wandel. Wenn ich mich im Februar-Regen in den Flieger nach Teneriffa setze, spüre ich von Klimakatastrophe und Wachstumsgrenzen zunächst nichts. Zu den nötigen Einsichten über Wandel gehört insoweit, dass man manche Dinge nicht oder kaum ändern kann, weder als Gesellschaft noch als Einzelne/r. Die Grundstruktur menschlicher Gefühle lässt sich nur schwer verändern, ebenso wie die überwiegend (nicht ausschließlich) eigennützige Richtung unseres Tuns und Lassens. Dagegen sind unsere Werthaltungen und Normalitätsvorstellungen beweglich – und auch was ganz konkret als eigennutzenförderlich angesehen wird, ist beeinflussbar. In all diesen Aspekten steckt eine große Portion Kultur, auch wenn menschliche Grundstrukturen teilweise der Evolutionsgeschichte entstammen.

Tut man sich zusammen, hinterfragt man, ändert man politische Anreizstrukturen für Eigennutzenkalküle und Normalitätsvorstellungen, kann sich im Großen ziemlich viel bewegen. Und auch im Kleinen kommt man weiter, wenn man die gerade emotional grundierten Fallstricke durchschaut, die nicht nur bei Nachhaltigkeitsthemen lauern. Sondern auch dann, wenn ich mir vornehme, meine Ernährung umzustellen oder immer morgens um sechs joggen zu gehen. Doch gerade auch Konzepte für die Postwachstumswelt sollten nicht auf den neuen Menschen hoffen, sonst bleiben sie folgenlose Utopien. Dennoch ist Wandel möglich. Eigennutzenkalküle, Normalitätsvorstellungen und auch Werte können sich im Wechselspiel verschiedener Akteur/innen weiterentwickeln. Dazu liefere ich in meinem Buch Analysen und Vorschläge, die gerade das Wechselspiel von Politik und Bürgerschaft oder Unternehmen und Konsumierenden im Blick haben und sich nicht einseitig auf einen Player beschränken.

Felix Ekardt, Jahrgang 1972, Jurist, Soziologe und Philosoph, ist Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin sowie Professor für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Rostock und Mitglied des Leibniz-Wissenschaftscampus Phosphorforschung Rostock. Seine Forschungsschwerpunkte sind Bedingungen sozialen Wandels sowie Politik, Recht und Ethik der Nachhaltigkeit. Regelmäßige Beiträge in Radio, Fernsehen und überregionalen Tageszeitungen; Politikberatung zur Energie- und Klimawende und allgemein zu Nachhaltigkeitsthemen auf EU-, Bundes- und Landesebene; zahlreiche Kommissionsmitgliedschaften, Auszeichnungen und Vorträge, etwa auf den Weltkongressen der Rechtsphilosoph/innen, der Rechtssoziolog/innen, der Düngerforscher/innen, der Nachhaltigkeitsforscher/innen und auf dem Weltökosteuerkongress. Im Ehrenamt ist er unter anderem Landesvorsitzender des BUND Sachsen. Persönlich hat er großen Spaß an vegetarischer, saisonaler und regionaler Ernährung, kleinen Wohnungen und einem Leben ohne Führerschein, Urlaubsflüge, Handys, Tablets, Mikrowellen, Spülmaschinen, Trockner und manchen weiteren Ballast der Überflussgesellschaft.

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