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Wachsen oder Weichen? Ein Buch über Postwachstum und Unternehmen

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Die Rolle von Unternehmen in einer Wirtschaft ohne Wachstum rückt zunehmend in den Fokus der Postwachstumsdiskussion. Waren zunächst die Makroökonomie und individuelle Ansätze im Zentrum der Diskussion, fällt nun der Blick vermehrt auch auf die Frage, wie ein Unternehmen ohne Wachstumsorientierung wirtschaften kann. Diesbezügliche Erkenntnisse und Strategien stehen allerdings noch am Anfang einer zufriedenstellenden Antwort.

Dieser Blogbeitrag basiert auf dem Buch Zukunftsfähige Unternehmen in einer Postwachstumsgesellschaft[i], das sich als Beitrag zu diesem Suchprozess versteht. Ausführlich bearbeitet werden dabei zwei Themen: Die theoretische Analyse unternehmerischer Wachstumstreiber und praktische Unternehmensstrategien, diese zu überwinden.

Was bedeutet Postwachstum für Unternehmen?

Der Maßstab für ein zukunftsfähiges Unternehmen ist ein Wirtschaften innerhalb der sozialen und ökologischen Grenzen, damit die Tragfähigkeit des Planeten und der Menschen nicht überschritten wird. In einer Postwachstumsgesellschaft herrscht also keineswegs ein generelles Wachstumsverbot für Unternehmen. Unter der Annahme, dass die ökologischen Grenzen bereits erreicht sind, ändert sich dies allerdings. Dann kann einzelbetriebliches Unternehmenswachstum nur gerechtfertigt werden, wenn es dazu führt, dass Unternehmensstrukturen verdrängt werden, die weniger nachhaltig sind. In Bezug auf den Energiesektor würde dieser Strukturwandel also einen Ausbau der Erneuerbarer Energien bei gleichzeitigem Rückbau des fossilen Kraftwerksparks bedeuten. Nur so entfaltet unternehmerisches Wachstum absolut positive Nachhaltigkeitseffekte.[ii]

Wie und ob Suffizienz auch die Basis von Geschäftsmodellen sein kann, ist allerdings umstritten und selten im Fokus. Ich gehe davon aus, dass ein Unternehmen durch seine Aktivitäten suffizienzfördernd wirken kann, indem es Produkte und Dienstleistungen bereitstellt, die einen suffizienten, also genügsameren Lebensstil erleichtern. Diese Wirkung kann auf politischer Ebene verstärkt werden, indem ein Unternehmen sich für eine Suffizienzpolitik einsetzt oder sich dieser zumindest nicht in den Weg stellt.

Warum wollen Unternehmen wachsen?

Wirtschaften, das nicht allein auf Wachstum ausgerichtet ist, funktioniert nur, wenn ein Unternehmen sich dafür frei entscheiden kann. Doch gelingt dies unter den herrschenden Marktstrukturen? Auf einen ersten Blick tritt dabei ein unternehmerisches Dilemma zu Tage:[iii] Während das unbegrenzte Streben nach Unternehmenswachstum eine Gefahr für die natürliche und soziale Umwelt darstellt, kann ein Verzicht auf Unternehmenswachstum als Gefahr für das Unternehmen selbst wirken. Denn ein Unternehmen, welches schrumpft, verschwindet langfristig vom Markt oder wird von einem anderen Unternehmen übernommen.

Meist wollen Unternehmen zunächst wachsen, da Absatzwachstum unabhängig von der verfolgten Unternehmensstrategie nahezu immer Vorteile bringt. Allerdings sorgen die Marktstrukturen ebenso dafür, dass Unternehmen an gewohnten Praktiken festhalten, obwohl bekannt ist, dass diese Praktiken negative Auswirkungen auf die Umwelt oder Arbeitsqualität haben. Bei der Analyse solcher Wachstumstreiber habe ich fünf Hauptfaktoren entlang der Funktionsbereiche eines Unternehmens identifiziert. Diese sind hier kurz skizziert:

(1) Der durch die Produktionsstruktur bestimmte Kapitalbedarf und die Notwendigkeit der Refinanzierung des eingesetzten Kapitals;

(2) die Vorteile von größeren Unternehmen bei Produktion, Regulierung und Besteuerung;

(3) die Interessen von Mitarbeiter/innen und Manager/innen in Bezug auf Karrierechancen und Gehälter sowie eine hierarchische Unternehmensorganisation;

(4) die Wechselwirkung der symbolischen Funktion des Konsums mit einer gezielten Nachfragekreierung über Werbung sowie das dauerhafte Hervorbringen neuer Produkte und geplanten Verschleiß;

(5) eine auf finanzielle Aspekte beschränkte Bilanzierung.

Quer dazu wirken der Wettbewerbsdruck und das Gewinnstreben, die dafür sorgen, dass alle potentiell möglichen Wachstumsoptionen auch tatsächlich ausgeschöpft werden. Obwohl sich die konkrete Gewichtung und Ausgestaltung je nach Branche, Unternehmenstyp und Marktphase unterscheidet, erzeugen diese unternehmerischen Wirkungszusammenhänge insgesamt eine für Unternehmen ebenso attraktive wie vereinnahmende Orientierung an quantitativem Wachstum.

Warum sollten sich Unternehmen damit beschäftigen?

Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass Unternehmen durchaus Handlungsspielräume besitzen. Der Transition Ansatz[iv] analysiert, wie gesellschaftliche Veränderungsprozesse ablaufen. Hieraus wird deutlich, dass sich Handlungsspielräume für Unternehmen nicht von alleine ergeben, sondern bewusst geschaffen und gestaltet werden müssen. Sie hängen von der jeweiligen Risiko- und Experimentierbereitschaft ab und bieten sich vor allem für Unternehmen an, die Kostenfaktoren, Nachfrageniveaus und Produkte als variable Aktionsparameter betrachten.

Die bekannten Pionierunternehmen[v] auf diesem Gebiet sind überwiegend ethisch motiviert – dies gilt weithin für alle transformativ agierenden Akteure. Sie haben sich kognitiv von der herrschenden Wachstumslogik frei gemacht und finden so Möglichkeiten wachstumsunabhängig zu wirtschaften. Andererseits kann sich nicht jedes Unternehmen diese Handlungsspielräume leisten – finanziell wie personell. Viele Unternehmen agieren in einem harten Wettbewerbsumfeld. Sie haben wenig freie Ressourcen für diese Reflexionsprozesse. Die Auseinandersetzung mit einer nicht mehr wachsenden Wirtschaft ist jedoch eine reale unternehmerische Herausforderung. Diese Herausforderung anzunehmen und zu bewältigen, wird über den zukünftigen Erfolg von Geschäftsmodellen entscheiden. Dies zeigen die zunehmende Entwicklung von Nachfragesättigung, abnehmenden Wachstumsraten und Ressourcenengpässen sowie der durch die ökologischen und sozialen Nebenfolgen ihrer Wirtschaftsweise hervorgerufene Legitimationsdruck der Unternehmen, die Postwachstum als „neue Normalität“[vi] erscheinen lassen.

Wie sehen zukunftsfähige Unternehmensstrategien aus?

Die Ergebnisse meiner Arbeit stellen den derzeitigen Wissensstand zu wachstumsunabhängigen Unternehmensstrategien dar. Ein dabei entwickelter Orientierungsrahmen zeigt, wie Unternehmen Wachstumstreiber überwinden und einen aktiven Beitrag zur Transformation in Richtung einer Postwachstumsgesellschaft leisten können. Zu nennen sind hier besonders Gestaltungsoptionen wie die Wahl einer optimalen Unternehmensgröße und einer geeigneten Finanzierung, um souveräne Entscheidungen treffen zu können. Dies hilft auch Zusammenhänge, die das Unternehmen betreffen, überschaubar für Management und Konsument/innen zu halten und diese somit wirklich nachhaltig gestalten zu können. Um unternehmerische Wachstumstreiber weiter zu reduzieren, ist darüber hinaus eine geeignete Unternehmensstruktur, Rechtsform und Arbeitszeitgestaltung für die Mitarbeiter/innen von Bedeutung. Die wachstumsunabhängige Wirkung wird umso stärker, je regionaler auch die Absatz- und Beschaffungsstrukturen eines Unternehmens ausgerichtet sind.

Unternehmen können ihre Geschäftsfelder erweitern, indem sie sich für sogennante kollaborative Wirtschaftsformen öffnen, also für eine enge Beziehung zwischen Produzent/innen und Konsument/innen. Wenn beispielsweise auf einem Hof die Mitarbeit in der Landwirtschaft Teil des Unternehmensangebots ist, bietet dies zusätzliche Einkommensquellen und eröffnet gleichzeitig den Konsument/innen konkrete Beteiligungsmöglichkeiten. So wird Raum für einen kulturellen Wandel des Konsum- und Lebensstils geschaffen: Der Eigenanbau erfordert Zeit und Wissen. Vor allem aber bringt er Resonanzerfahrungen, die emotional bewegen und verdeutlichen, dass es möglich ist, etwas bewegen zu können. Dies strahlt auch auf andere Lebensbereiche aus. Die gesellschaftliche Aufwertung suffizienter Lebensstile kann darüber hinaus über eine transparente Bilanzierung und Unternehmenskommunikation zusätzlich unterstützt werden. Indem etwa solche Subsistenzpraktiken als moderne Versorgungsmöglichkeit dargestellt werden, die keineswegs rückständig, sondern vielmehr ökologisch nachhaltig und zudem noch sozial verbindend sind. Damit einhergehend muss der Verkauf von Produkten und Dienstleitungen nicht das Hauptziel der Unternehmenstätigkeit sein, sondern kann „lediglich“ als Mittel für ein Sachziel dienen – zum Beispiel, um über den Verkauf von Apfelsaft den Erhalt artenreicher Streuobstwiesen finanzieren zu können.

Grundvoraussetzung für eine gesellschaftliche Resilienz sind vielfältige Lösungsansätze statt Einheitspläne. So müssen all diese Strategien an die jeweiligen kulturellen, ökonomischen und ökologischen Bedingungen im lokalen Kontext angepasst werden. Es geht darum, übertragbare Unternehmensbeispiele sichtbar zu machen und diese im Sinne von Experimenten weiterzuentwickeln, um daraus zu lernen. Dabei sollte auf den bisherigen Erfahrungen im Bereich nachhaltiger Unternehmensführung aufgebaut werden, anstatt sich durch eine eigene Kategorie von „Postwachstumsunternehmen“ davon abzugrenzen. Für den Ernährungsbereich sind einige solcher Beispiele zu finden in Zukunftsfähige Unternehmen in einer Postwachstumsgesellschaft.

[i] Posse, Dirk (2015): Zukunftsfähige Unternehmen in einer Postwachstumsgesellschaft. Eine theoretische und empirische Untersuchung. Schriften der Vereinigung für ökologische Ökonomie. Heidelberg. PDF Version frei verfügbar.

[ii] Vgl. Stengel, Oliver (2011): Suffizienz. Die Konsumgesellschaft in der ökologischen Krise. Oekom. München: S. 178.

[iii] Vgl. Müller-Wenk, Rudi (1974): Ein Vorschlag aus einzelwirtschaftlicher Sicht zur Realisierung einer umweltkonformen Wirtschaft. In: Wolff, Jörg (Hrsg.): Wirtschaftspolitik in der Umweltkrise. Strategien der Wachstumsbegrenzung und Wachstumsumlenkung. Stuttgart: S. 269.

[iv] Vgl. Geels, Frank W. / Schot, Johann (2010): The Dynamics of Transitions. A Socio-Technical Perspective. In: Grin, John / Rotmans, Jan / Schot, Johann (Hrsg.): Transitions to Sustainable Development. New Directions in the Study of Long Term Transformative Change. New York: S. 18-28.

[v] Siehe beispielsweise die Praxisbeispiele im Projekt „Postwachstumspioniere“ des IÖW.

[vi] Reichel, André (2013): Betriebswirtschaftliche Perspektiven. Das Ende des Wirtschaftswachstum, wie wir es kennen. In: Ökologisches Wirtschaften 1/2013: S. 15.

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