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Vielfältige Wege und Strategien vom Heute in eine Postwachstumsgesellschaft

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Dass es in der Frage nach den geeigneten Wegen und Strategien vom Heute in eine Postwachstumsgesellschaft unterschiedliche Präferenzen und auch politische Philosophien gibt, kann angesichts der angedeuteten Vielheit der Akteure und Strömungen, der unterschiedlichen Situationen und Kulturen nicht überraschen. Wichtig ist, dass eine sich entwickelnde Bewegung als Ganzes das Repertoire ihrer transformativen Wirkungsmöglichkeiten ausschöpft und möglichst viele Akteure dabei etwas „nach ihrem Geschmack“ finden können.

Problematisch können solche Differenzen dann werden, wenn sie zu (ab)wertenden Gegenüberstellungen führen und wenn sie zu wenig argumentativ und öffentlich ausgetragen werden. Sonst würde sich wohl meist zeigen, dass viele Wege eher komplementär und für unterschiedliche Personengruppen attraktiv sind. Und oft wäre die jeweils bevorzugte Strategie allein in ihrer transformativen Potenz überfordert. Das soll an Hand von drei unterschiedlichen Vorstellungen vom Modus der Transformation illustriert werden. Zunächst ihre Antworten auf die Frage, wie die erwünschte neue Entwicklungsrichtung in die Welt kommen kann.

Parallelgesellschaften

In Variante A geschieht dies hauptsächlich in Gestalt einer radikal alternativen Parallelgesellschaft, die sich bottom up von Nischen, herrschaftsarmen Schutzräumen ausgehend neben den bestehenden Institutionen und ihren Politiken und weitgehend unabhängig von ihnen entfaltet. Gleichgesinnte mit öko-korrekten Lebensstilen, solidarischen Haltungen oder antikapitalistischen Überzeugungen experimentieren avantgardistisch gemeinschaftlich mit neuen gesellschaftlichen Formen.

Politische Forderungen und der beharrliche Kampf für Reformen seien eher Zeit- und Kraftverschwendung. Besser sei es anzufangen, alternative Unternehmungen zu starten. Denn die Politik eilt in unserem System dem kulturellen Wandel hinterher. Politische Akteure konkurrieren um Wählerstimmen in der „Logik von Konsumdemokratien“, also im „Überbietungswettbewerb“ im Versprechen von noch mehr materiellen Selbstverwirklichungsmöglichkeiten (Paech 2012, 2012a). Wer als erster ausbricht, riskiere politischen Selbstmord.1 Auswege seien nur systemextern möglich – sei es durch Krisen erzwungen oder durch eine nicht mehr in der Konkurrenz um Wählerstimmen zu ignorierende Attraktivität alternativer Lebensstile, was allerdings vor dem System-Kollaps wenig wahrscheinlich sei. Deshalb wäre die bis dahin realistischere Strategie eine „dezentrale und autonome Entwicklung vieler Rettungsboote“ (Paech 2012a/217), um dann den wahrscheinlichen Kollaps gestalten zu können.

Trans-Formation von Institutionen

B. Oder aber geht der fundamentale Postwachstums-Wandel nur über eine buchstäbliche „Trans-Formation“, also eine schrittweise Umwandlung des Bestehenden, der existierenden Institutionen (Lessenich 2014)? Gefragt sind hier Akteure, die Mühen der Ebene und den berühmten „Marsch durch die Institutionen“ auf dem Weg zu strukturellen, nicht-reformistischen Reformen nicht scheuen. Eine Umgestaltung der Wachstumsgesellschaft sei auch nicht ohne deren Akteure oder gegen ihren Willen – vor allem auch der Gewerkschaften – zu bewerkstelligen (Lessenich 2014).

Protagonisten von A werden zwar edle Motive konzediert, ihr Konzept sei jedoch nicht transformativ, zeitige bestenfalls systemisch parasitäre „Inseln im Meer kapitalistischer Produktionsweise“ (ebd.). Es sei ein Minderheitenprogramm, jedoch kein verallgemeinerungsfähiges gesellschaftliches Veränderungsprojekt, kein Vorbote einer gesamtgesellschaftlichen Produktionsalternative (ebd.). Zudem wäre es sozial unsensibel, brandmarke „das Streben nach Verteilungsgerechtigkeit umstandslos als Triebkraft eines ökologisch zerstörerischen Konsumerismus.“ (Dörre et al. 2014: 549) und übersehe transformative subjektive Potenziale bei den „ganz normalen Menschen“, den „arbeitenden Produzentinnen“, ignoriere somit wichtige Anknüpfungspunkte für Bündnisse (Lessenich 214). Zudem fehle es A und C an einer Kapitalismusanalyse (Lessenich/ Dörre 2014).

Reallabore

C. „Dazwischen“ befindet sich ein Ansatz, der gleichfalls die Produktionsverhältnisse verändern will und Postwachstums-Transformationen vor allem als praktische Politik dazu sieht. Das Neue in Richtung „reduktive Moderne“ (Welzer 2013, 2014) entsteht hier in erster Linie neben dem „Alten“ in „Reallaboren“, als neue Denkweisen und Praxen, als „Transformationsdesign“ (Sommer/ Welzer 2014), aber auch als sukzessive Veränderung des Bestehenden (z.B. Gemeinwohlökonomie). Entscheidender transformativer Akteur ist hier eine neue politische Postwachstuns-Bewegung, die der Wachstumsgesellschaft eine „eigene Struktur von Produktion und Konsumtion“ (Welzer 2014) entgegenstellt. Sie müsse aus den Erfahrungen alternativer ökonomischer und kultureller Praxis, eine Theorie und Programmatik sowie Strategien der Transformation entwickeln. Dieser Prozess verlaufe sehr konflikthaft, da er eine Verschiebung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen einschließt (Sommer/ Welzer 2014).

Gewarnt wird einerseits vor Fallstricken der Position A, vor allem vor der Gefahr subkultureller Abkapselung in alternativer Gemeinschaftlichkeit. Abgelehnt wird aber auch, sich auf Politik und Parteien einzulassen, denen es an Veränderungswillen und -fähigkeit fehle. Auch „Aufklärung“ wird hier oft als wirkungslos abgewertet (Welzer 2013a) gegenüber alternativen Praxen, denen allein zugestanden wird, expansive Kulturen und Alltagsroutinen verändern zu können.


1 Der nicht sehr erfolgreiche Veggie-Day–Vorschlag der Grünen im Bundestags-Wahlkampf 2013 scheint dies zu bestätigen. Aber wer als erster mit zukunftsfähigen, aber riskanten Ideen antritt, hat eventuell auch den Vorteil des „first movers“, kann z.B. als authentischer politischer Repräsentant des jeweiligen Anliegens gelten, wie etwa nach wie vor Ökologiethemen in erster Linie mit Bündnis 90/Die Grünen verbunden werden.

Literatur

Dörre, Klaus/Holst, Hajo/Matuschek, Ingo (2014): Zwischen Firmenbewusstsein und Wachstumskritik. Empirische Befunde aus einem Industriebetrieb, S. 543-550.

Lessenich, Stephan (2014): Ab in die Produktion oder Der diskrete Charme der Ökonomie, in: WSI-Mitteilungen 7/2014, S. 566-567.

Lessenich, Stephan/Dörre, Klaus (2014): Grenzen des Wachstums – Grenzen des Kapitalismus? In: WSI-Mitteilungen7/2014, S. 504.

Paech, Niko (2012): Befreiung vom Überfluss, München.

Paech, Niko (2012a): Postwachstumsökonomie, in: Woynowski, Boris et al. (Hg.), Wirtschaft ohne Wachstum?! Notwendigkeit und Ansätze einer Wachstumswende, Reihe Arbeitsberichte des Instituts für Forstökonomie der Universität Freiburg (59), S. 315-320.

Sommer, Bernd/ Welzer, Harald (2014): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne, München.

Welzer, Harald (2014): Mal wieder die Produktionsverhältnisse ändern, in: WSI-Mitteilungen 7/2014, S. 564-565.

Welzer, Harald (2013): Selbst Denken. Eine Anleitung zum Widerstand, Frankfurt am Main.

Welzer, Harald (2013a): Von der expansiven zur reduktiven Moderne, in: Politische Ökologie 133, S.124-128.

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