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Pfade in die Postwachstumswirtschaft

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Viel wird darüber diskutiert, wie die Veränderung – eine nachhaltige am Menschen orientierte Wirtschaft – in die Welt kommen kann, wie wir die vermeintlich Verantwortlichen – Politiker/innen, Unternehmer/innen, Arbeitgeberverbände – davon überzeugen, inne zu halten und den von uns gewünschten Wandel in Politik und Wirtschaft zu vollziehen. Doch zu einer ressourcenschonenden Postwachstumswirtschaft gehört auch ein verändertes, erweitertes Menschenbild.

Eines, das uns ebenso innewohnt, wie das, das wir bisher lebten. Wenn wir uns als kooperative, verantwortungsvolle und gegenseitig respektvoll begegnende Menschen betrachten, können wir die Verantwortung nicht mehr an die vermeintlich Verantwortlichen delegieren. Wir müssen selbst die Veränderung sein, die wir uns wünschen und veränderte Rahmenbedingungen an dem Ort setzen, an dem wir uns jeweils bewegen. Dies für Individuen und Gruppen anzustoßen, loszubewegen und zu verankern war Ziel eines Seminars, das im Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung im Januar stattfand und von dem wir hier berichten wollen.

Die Starrheit mentaler Infrastrukturen überwinden

Zu dem Seminar kamen 17 Menschen in einer Altersspanne von 60 Jahren. Der jüngste Teilnehmer war 19 Jahre alt, die älteste Teilnehmerin 79 Jahre. Das Seminar war früh ausgebucht und überbucht. Der Wunsch selbst etwas tun zu können, ist also groß.
Die Grundelemente unseres Wirtschaftssystems haben wir mit den Bausteinen (B)ildung – (A)beitnehmer/in – (U)nternehmen, kurz B-A-U, gefasst. Mit Hilfe des B-A-U-Modells haben wir uns zunächst angesehen, was uns kollektiv so tief geprägt hat, dass es uns schwerfällt, andere Werte, Strukturen und Muster miteinander (vor-) zu leben. Menschen werden erzogen, bilden sich und erleben Arbeit in Objektbeziehungen: bewertet, beurteilt, fremdbestimmt. Studium muss sein – egal, ob es passt oder nicht – war schon immer das Credo des Bildungsbürgertums und hat heute alle gesellschaftlichen Schichten erfasst. So, wie wir geprägt sind, gestalten wir unser Arbeits- und Sozialleben – oft als „kleine Rädchen“ im Getriebe vorgegebener Unternehmensstrukturen und -ziele. Harald Welzer spricht von den „tiefen mentalen Infrastrukturen“, die unser Gesellschaftssystem und damit uns seit der Aufklärung und frühen Industrialisierung im Denken, Handeln, Fühlen prägen. Erst wenn uns bewusst wird, wie tief wir selbst mental in den Denkstrukturen des mechanistischen, industriellen Zeitalters verankert sind, beginnen wir mutig das neue, unbekannte, noch nie da gewesene experimentell zu erproben und in die Welt zu tragen. Dann empfinden wir das, was wir hinter uns lassen müssen, nicht mehr als Verlust, sondern als Behinderung uns als Menschen in Potenzialen wahrzunehmen, die wir miteinander lustvoll, uns gegenseitig bereichernd teilen.

Von der Arbeitnehmer/in zur Gemeinschaftsgestalter/in

Wie aber könnten (B)ildung – (A)rbeitnehmer/innen – (U)nternehmen einer nachhaltigen, sich am Menschen orientierenden Wirtschaft aussehen? Im Seminar haben wir erlebt, was geschieht, wenn Menschen zusammen kommen und gemeinsam träumen: Es entwickeln sich Facetten einer anderen Welt, einer Wirtschaft, die wir uns wünschen, in der wir uns respektvoll auf Augenhöhe annehmen und miteinander unsere Potenziale entfalten. Der Begriff des Arbeitnehmers / der Arbeitnehmerin wurde im Seminar völlig neu definiert u.a. als Gemeinschaftsgestalter/in. Im Aufbau von Subjektbeziehungen nehmen wir uns als lebendige und eigenwillige Wesen war. Innerhalb von Kommunikationsprozessen, unterstützt durch freies, autodidaktisches Aneignen von Muster-Beispielen der globalen Postwachstumspioniere (freie Bildung) wurde in der Projektphase u.a. eine Zeitarbeitsgenossenschaft skizziert, in der sich Arbeitnehmer/innen und Arbeitgeber/innen selbst organisieren, für Zeiten der Nichtbeschäftigung absichern und flexible Teilzeitarbeits-Modelle ermöglichen ohne finanzielle Einbußen z.B. bei der Beantragung von Arbeitslosengeld erleben zu müssen. Ein Modell, das sich durchaus umsetzen ließe, würden sich Interessierte zusammenfinden und weiter daran arbeiten.

Gestaltungsspielräume nutzen

Solche Beispiele zeigen, was es bedeutet mentale Infrastrukturen zu erkennen und zu verändern. Der Kapitalismus ist eine Idee von vielen, die Welt zu gestalten. Es liegt an uns, auszuprobieren, wie es noch gehen kann. In dem Augenblick, in dem sich immer mehr Menschen mit dem Gedanken von Arbeit als Gemeinschaftsgestaltung verbinden, ihn leben und ausgestalten, wird er Realität, ein Glaubenssatz, der ebenso selbstverständlich sein kann wie das aktuelle Mantra Arbeit ist Geldverdienen. Vorstoßen in das Unbekannte: Eine Rolle, die vor allem junge Menschen bereits erproben, in dem sie Unternehmen auf Augenhöhe gründen, in denen nicht nur die Mitarbeiter/innen, sondern auch Kund/innen und Händler/innen gemeinsam die Strukturen (er)schaffen, sich gemeinsam für das Gelingen verantwortlich fühlen.

Das Seminar wurde von den Teilnehmer/innen sehr positiv bewertet. Auffällig waren die verschiedenen Perspektiven und Herangehensweisen von Jung und Alt. Während die jungen Menschen dem Kooperationsgedanken und dem freien Experimentieren mit Projektideen sehr offen gegenüberstanden, brachten die älteren Teilnehmer/innen ihre Erfahrungen ein, so dass sich ein sehr produktives, kreatives, sich ergänzendes Miteinander entwickelte. Immer wieder wurde deutlich, dass die Sprache eine wesentliche Rolle in der Transformation von mentalen Infrastrukturen in Wirtschaft / Arbeit / Leben einer Postwachstumswirtschaft spielt, da neue Arbeitsweisen und Lebensstile mit den alten Begrifflichkeiten nicht mehr erfasst werden können.

 

3 Kommentare

  1. Christian Egert sagt am 28. August 2017

    Ein interessantes Thema, in der Tat. Hier fallen mir noch die Themenbereich bedingungsloses Grundeinkommen ein sowie die auf Wachstum fixierte Euro-Geldpolitik, die ja eine Art Sucht ist… mit erwartbaren negativen Folgen. Naja, ich hätte es auch gern gehört….

  2. Bitte an die Seminar-Teilnehmer weiterleiten. Danke !

    Es ist ermutigend, dass in einem Seminar wie diesem so gute Vorschlaege zum Aufbau einer Postwachstums-Gesellschaft erarbeitet werden konnten. Die Ergebnisse bestaetigen Denkanstoesse anderer Menschen, z.B von Erich Fromm, Christoph Binswanger und v.a.m..
    Fromm schreibt auf Seite 174 seines Buches „Haben oder Sein“, dtv 1490 von Zuschauer- und Mitbestimmungs-Demokratie. Zur Erarbeitung praktischer Wege in eine Mitbestimmungs-Demokratie schlaegt er die Bildung von „Nachbarschaftsgruppen“ vor. Zur deren Entstehung und Rolle gibt er Hinweise.
    Binswanger und seine Kollegen sehen auf Seite 230 in ihrem Buch „Wege aus der Wohlstandsfalle: der NAWU-Report“, fischer 4030 die Bildung von Gemeinschaften durch „kleine Netze“. Sie fragen und erklaeren, warum dieser Spielraum nicht genuetzt wird.
    Beide Werke sind wohl nur noch in Antquariaten zu finden, regen aber zur Vertiefung des Wissens um Grundlagen von Postwachstum an. Ich empfehle jedem, die Buecher zu lesen.
    Nun frage ich, wer und wenn ja, wie sich eine Postwachstums-Gesellschaft entwickelt. Ich meine, drei Gruppen von Initiatoren zu erkennen:
    1. Gruppen, die Bewusstsein foerdern: Wer verheiratet ist und Kinder hat, wird den Alltag der Familie nicht aufs Spiel setzen und z.B. eine Wohn- oder Arbeitsgemeinschaft gruenden. Er kann (a) seinen Kindern die Probleme sowie Auswege aus der gewinnorientierten Marktwirtschaft und Konsum-Gesellschaft nahe bringen und (b) Kollegen und Bekannte mit einbeziehen. Er kann (c) an Petitionen, Volksbegehren, Demonstrationen usw. teilnehmen. Und vor allem kann er (d) seinen Konsum neu gestalten und so reduzieren, dass die Supermaerkte nicht mehr so oft besucht werden muessen.
    2. Gruppen, die etwas in Bewegung bringen: Alleinstehende haben mehr Spielraum. Sie koennen naruerlich auch den Konsum reduzieren, sich ohne Auto bewegen, an Petitionen usw. teilnehmen. Aber sie koennen auch etwas riskieren, z.B. einer Wohngemeinschaft beitreten oder eine solche aufbauen. Das ist ein erster Schritt zur Gemeinschaftsbildung, der alle Moeglichkeiten einer Breitenwirkung und Diversifizierung mit sich bringt. Ich gruendete vor 45 Jahren als Junggeselle eine WG aus der schliesslich eine AWG (Arbeits- und Wohngemeinschaft) wurde. Aus verschiedenen Gruenden endete dieser grossartige Versuch.
    3. Gruppen, die praktisch einsteigen: Alleinstehende gruenden AWGs. Sie erkennen und ueberwinden zwischenmenschliche Krisen und schaffen es, sich der Abhaengigkeiten von Arbeitgebern und des Massenkonsums zu entledigen In jeder Grossstadt gibt es Kommunen, Gemeinschaften, Initiativen, die alternative Lebensformen praktizieren. Man schliesst sich an oder ruft was Neues ins Leben. Im Internet findet man viele, viele Adressen und Kurzprofile. Aus diesen Kerngruppen wachsen Netze und entstehen Inseln der Postwachstumsgesellschaft.
    Ich wuensche jedem, der sich Gedanken macht, seine Mitmenschen einbezieht und dann neue Wege geht viel Erfolg.!
    Gert Thoma
    gertthoma@gmail.com

  3. Hallo an alle,

    das klingt ja nach spannenden drei Tagen. Ja, es ist immer wieder faszinierend, wie wir uns, obwohl wir etwas anderes fühlen und wollen, immer wieder an gewohnte Muster klammern. Bitte bleibt dran am Thema. Ich glaub´ es lohnt sich…
    Theo

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