Rezensionen

Ökologischer Kapitalismus vs. grüner Sozialismus – das Transformationsmodell von Ralf Fücks

Kommentare 1

Nahezu zeitgleich sind in diesem Jahr zwei Bücher erschienen, die sich als Wegweiser einer sozial-ökologischen Transformation begreifen. Das klingt zunächst, als würden der unüberschaubar gewordenen Literatur über die Notwendigkeit und Möglichkeit einer nachhaltigen Entwicklung nur zwei weitere Titel hinzugefügt. Ein Blick auf die Autoren zeigt, dass dem nicht so ist. Die Bücher stammen aus der Feder von zwei Parteiintellektuellen – Ralf Fücks von der grün-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und Hans Thie, Referent für Wirtschaftspolitik der Linken-Bundestagsfraktion. Insofern sind sie nicht nur inhaltlich von Interesse, sondern auch als politische Gradmesser sowie in ihrem Anspruch, orientierend in politische Debatten zu intervenieren.

Der Ausgangspunkt beider Bücher ist derselbe: Angesichts der ökologischen Krise ist ein Weiter-So keine gangbare Option mehr; inmitten der Krise entwickelt sich eine Vielzahl von Alternativen; es bedarf einer überzeugenden neuen Erzählung, die das alte, ökologisch destruktive Wachstumsmodell nachhaltig delegitimiert und gleichzeitig die entstehenden Alternativen orientiert, indem sie sie als Bausteine eines neuen Modells begreifbar macht. Um welche Alternativen es sich allerdings genau handelt, was die Bedingungen ihrer Verallgemeinerung wären, welches neue Modell sich in ihnen andeutet und ob die Zukunft unter diesem Modell noch eine kapitalistische ist – in diesen Punkten gehen die Einschätzungen der beiden Autoren weit auseinander.

Ralf Fücks – Intelligent wachsen

Fücks plädiert in seinem Buch „Intelligent wachsen“ für „eine fundamentale Veränderung der herrschenden Produktionsweise“ (Fücks 2013, 30), um allerdings gleich darauf klarzustellen: Es geht ihm weder um eine Postwachstumsgesellschaft, noch um Mäßigung oder Verzicht, sondern um eine „grüne industrielle Revolution“. Angesichts der rasanten Entwicklung der Schwellenländer stehe nicht das Ob, sondern nur das Wie des Wachstums zur Disposition. „Grünes Wachstum oder Kollaps, das ist die Alternative.“ (ebd., 36) Europa, und hier vor allem Deutschland, verfüge über das Potenzial, zum Pionier des grünen Wachstums zu werden und die aufstrebenden Länder dabei zu unterstützen, „das fossile Zeitalter möglichst zu überspringen“ (ebd., 38).

Fücks ist durchaus zuzustimmen, wenn er gegen eine Individualisierung der ökologischen Verantwortung argumentiert, die den Königsweg zu einer nachhaltigeren Gesellschaft in einer Moralisierung und Transformation von Lebensstilen sieht. Insofern ist die von ihm postulierte Veränderung in der Tat „fundamental“: „Ohne eine Revolution der industriellen Produktion, des Energiesystems, der Landwirtschaft etc. wird der Lebensstil der ökologischen Moderne nicht nachhaltig“ (ebd., 124). Zu den Stärken des Buches gehört auch die Kritik an antidemokratischen Strömungen im ökologischen Denken und das Beharren auf Demokratie als Voraussetzung ökologischer Lernprozesse (ebd., 88 ff.). Die derzeitige ökologische Innovationsdynamik wird von Fücks klug beobachtet und mit vielen interessanten Beispielen aus den Bereichen Energie, Stadtentwicklung, Landwirtschaft und industrielle Produktion illustriert.

Effizienz und Konsistenz als Schlüssel zur Entkopplung

Zwei Prinzipien stehen im Zentrum der in dem Buch entwickelten Transformationsperspektive: das der Effizienz und das der Konsistenz. Effizienz bedeutet in diesem Fall Ressourcenproduktivität. Ihre Steigerung soll es erlauben, die gesellschaftlich nötigen Güter unter Einsatz von immer weniger Material und Energie herzustellen. Eine konsistente Ökonomie orientiert sich am Kreislaufprinzip, sie basiert auf dem Gedanken, dass „alle Reststoffe entweder in den Technokreislauf oder in den Biokreislauf zurückfließen.“ (ebd., 155) Die Biotechnologie, verstanden als „technische Nutzung biologischer Prozesse und Ressourcen“, werde dabei zur neuen Leitwissenschaft (ebd., 15). Zusammen genommen soll mit der Steigerung der Ressourcenproduktivität und mit der Orientierung am Prinzip der Konsistenz erreicht werden, dass sich das Wirtschaftswachstum vom Naturverbrauch entkoppelt. Das wäre dann ein „intelligentes Wachstum“.

Beispiele, in denen sich eine solche Entkopplung andeutet, finden sich in dem Buch zuhauf: Ob ein von Philips entwickeltes bedarfsorientiertes städtisches Lichtsteuerungssystem, die Reduktion von Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen in der chemischen Industrie oder die Fortschritte bei der Nutzung der gesamten Masse (statt nur der Frucht) einer Energiepflanze zur Herstellung von „Agrartreibstoffen der zweiten Generation“ – überall, selbst in den vielgeschmähten Großkonzernen, gedeihen, unterstützt durch eine intelligente Politik, die längst nicht mehr zarten, sondern schon recht robusten Pflänzchen eines grünen Kapitalismus. Zwar bestreitet Fücks nicht die Existenz von Rebound-Effekten, aber als Argument gegen die Möglichkeit einer absoluten (und nicht nur relativen) Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch – der Gretchenfrage einer Ökologisierung des Kapitalismus – lässt er sie nicht gelten. Gerade das deutsche Beispiel zeige, dass eine absolute Entkopplung möglich sei.

Hätte man sich bereits bei Philips oder der chemischen Industrie einen genaueren Blick auf die Arbeitsbedingungen oder die Externalisierung sozial-ökologischer Kosten gewünscht, so ist spätestens an dieser Stelle Widerspruch angebracht. Zwar ist die Ressourcenproduktivität in Deutschland in den letzten Jahrzehnten ohne Zweifel erheblich gestiegen, aber daraus die Tendenz einer absoluten Entkopplung herauszulesen, funktioniert nur, wenn man die biotischen Rohstoffe und die ökologischen Rucksäcke ausklammert. Wie der Decoupling-Report des UN-Umweltprogramms (UNEP) zeigt, wird das Wirtschaftswachstum nur in diesem Fall vom Wachstum der Ressourcenproduktivität übertroffen. Berücksichtigt man hingegen die biotischen Rohstoffe und die ökologischen Rucksäcke, dann werden die sozial-ökologischen Kosten sichtbar, die auch ein grüner Kapitalismus verursacht und externalisiert (siehe UNEP 2011, S. 82 f.).

Ökologisierung des Bestehenden

Dass dies von Fücks nicht thematisiert wird, liegt auch daran, dass er sich explizit auf „die stoffliche Seite der Ökonomie“ konzentriert (Fücks 2013, 118). Hätte er sich die Erkenntnis des „alte[n] Marx“ (ebd., 30) zu eigen gemacht, dass kapitalistische Produktion nicht nur Arbeits- und stofflicher Transformationsprozess, sondern immer auch Verwertungsprozess ist, dann wäre seine ökologische Innovations-Euphorie vermutlich etwas zurückhaltender ausgefallen. Ihm wäre aufgefallen, dass dem Kapitalismus trotz seines unbezweifelbaren produktiven Potenzials eine strukturelle Blindheit gegenüber den Reproduktionsbedingungen von Mensch und Natur inhärent ist und dass sich wegweisende sozial-ökologische Alternativen oft gerade dort entwickeln, wo es gelingt, der kapitalistischen Inwertsetzung von Natur zugunsten einer demokratischen Ressourcenkontrolle Einhalt zu gebieten.

So entwirft er eine Fortschrittserzählung von der „Dynamik der Moderne“ (ebd., 36), die – angetrieben von einer enorm wandlungsfähigen, „jede Opposition in Innovation“ transformierenden kapitalistischen Produktionsweise (ebd., 305) – immer wieder neue Lösungen für ihre selbst erzeugten Probleme hervorbringt, sofern nur technische Innovation, (ordnungs)politische Steuerung und individuelles Verhalten in der geeigneten Weise zusammenwirken. Die Ambivalenzen der Moderne bleiben hingegen weitgehend auf der Strecke, die Kritik daran wird primär in Form eines konservativen Unbehagens wahrgenommen.

Diskursiv mag das recht geschickt sein. Fücks sagt nicht einfach, dass es ihm um eine ökologische Modernisierung des Kapitalismus geht. Er reklamiert vielmehr für dieses Projekt das Label „fundamentale Veränderung“ und deklariert auf diese Weise jede radikalere Form von Herrschaftskritik als nicht denk- und sagbar. Von links betrachtet unterstreicht Fücks damit aber vor allem eines: Die Funktionsweise der herrschenden Ordnung ist von ihren grünen KritikerInnen auf eine Weise verinnerlicht worden, dass selbst eine fundamentale Veränderung nur noch als Ökologisierung des Bestehenden imaginiert werden kann.

In meinem nächsten Beitrag werde ich dem grünen Konzept von Ralf Fücks die  linke Transformationsperspektive von Hans Thie gegenüberstellen.

Ralf Fücks (2013): Intelligent wachsen. Die grüne Revolution. München: Carl Hanser Verlag.

1 Kommentare

  1. […] wird sich kritisch mit Effizienzstrategien auseinandergesetzt,.so zuletzt in der Rezension von Markus Wissen. Insbesondere der Rebound-Effekt wird als Begründung für eine Postwachstumsgesellschaft […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.