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Hans Christoph Binswanger als Ökonom

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Hans Christoph Binswangers beeindruckendes ökonomisches Werk über einen Zeitraum von fast einem halben Jahrhundert hin ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in der Substanz immer auch ein umweltökonomisches Werk gewesen, auch wenn es oft unterschiedliche Anwendungsbereiche der Wirtschaft betrifft. Ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit erkennt man dabei die Schwerpunkte „Natur und Geld“ sowie „Dominium und Patrimonium“ (Herrschaftseigentum und Erbgut), die seine Sicht ökonomischer Prozesse bestimmen. Diese Perspektive entfaltet Binswanger vor allem in den folgenden Publikationen:

(1) Binswangers umfassendes Werk ist zum einen durch die Pole „Natur und Geld“ geprägt, die zugleich den Titel seines für ein breiteres Publikum geschriebenen Buches aus dem Jahr 1991 bilden. Hier entwickelt er seine zentrale Sichtweise auf die problematische Interaktion monetärer und realer Prozesse in der Wirtschaft.

(2) Derselben grundsätzlichen Sichtweise ist auch Binswangers berühmter Ausflug in die Literaturwissenschaft, „Geld und Magie“ (1985), verpflichtet, ein Buch, das er als Beitrag zur ökonomischen Analyse verstand. Faust verfällt darin der Magie des Geldes, und das wird zum Paradigma der modernen Wirtschaft, die nach dem „alchemistischen“ Irrglauben handelt, losgelöst von den Naturgrundlagen nach Belieben schalten und walten zu können und dabei doch eben diese Naturgrundlagen zum eigenen Schaden zerstört.

(3) Unter dem Aspekt einer naturblinden, von Begrenzungen entfesselten und daher grenzenlosen Geldwirtschaft mit entsprechendem Zerstörungspotential stehen zum andern auch zahlreiche theoriegeschichtliche Buch- und Aufsatzbeiträge von Hans Christoph Binswanger. Ein zentraler Punkt ist dabei die zunehmende Verdrängung des „patrimoniums“ („Erbguts“), das den Lebenden nur auf Zeit zur Nutzung überlassen ist und an den Erben in mindestens gleich guter Verfassung weiterzugeben ist, durch das herrschaftliche „dominium“ (das „Herrschaftseigentum“), in dem der Eigentümer nach eigener Willkür über die „Sachen“ verfügt. Eine praktische Konsequenz dieser Sichtweise findet sich in Binswangers Vorschlägen zur Totalrevision der schweizerischen Bundesverfassung (1978).

(4) Die heute offenkundigen Gefahren einer entfesselten und entgrenzten Geld- und Finanzwirtschaft sind aber nicht die einzigen Quellen seiner Beschäftigung mit diesem besonderen Tauschmedium. Bereits in seiner Habilitationsschrift von 1969, „Markt und internationale Währungsordnung“ zeigt Binswanger auf, dass der angebliche „Numéraire“ Geld in keiner seiner tatsächlichen ökonomischen Funktion im Rahmen der Theorie des allgemeinen Gleichgewichts abgebildet wird und dass vorhandene Versuche seiner Verknüpfung mit den realen Austauschprozessen fehlschlagen. Dieses Problem hat Binswanger über sein ganzes wissenschaftliches Leben hin beschäftigt, bis hin zu seinem letzten großen theoretischen Entwurf „Die Wachstumsspirale“ (2006), in dem er eine Verknüpfungsmöglichkeit aufzeigt.

(5) Zwei größere Entwürfe zur gesellschaftlichen Neuorientierung hat Binswanger in Kooperation mit anderen entwickelt, zum einen die Gruppe „NAWU“ (Neue Analysen für Wirtschaft und Umwelt), mit der er 1978 den „NAWU-Report: Strategien gegen Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung“ herausbrachte, und der BUND-Arbeitskreis „Wirtschaftsfragen“, dessen Sprecher Binswanger war und der 1983 die ökologische Diskussion im deutschen Sprachraum mit der Studie „Arbeit ohne Umweltzerstörung“ belebte. Ein wichtiger und politisch wirkungsvoller Vorschlag in der Studie war, die Energie zu besteuern und das Steueraufkommen zur Finanzierung des Rentensystems heranzuziehen. Daraus entwickelte sich die Diskussion in Verbänden und Parteien über eine „ökologische Steuerreform“.

Anmerkungen der Blog-Redaktion:

Das wirtschaftswissenschaftliche Werk von Hans Christoph Binswanger ist in dem Beitrag „Hans Christoph Binswangers ökonomisches Werk“ von Hans G. Nutzinger ausführlich gewürdigt worden. Die Online-Version ist hier abrufbar.
Dieser Aufsatz von H. Nutzinger ist im Sammelband von Roland Kley (Hg.) 2010: Der Ökonom Hans Christoph Binswanger, VGS St. Gallen, S. 122-143 veröffentlicht. Hier sind die wesentlichen Ergebnisse zusammengefasst. Im Sammelband von R. Kley ist auch eine ausführliche Biographie Binswangers durch Kley selbst zu finden.

Alle Blogbeiträge unserer Artikelreihe zu Hans Christoph Binswanger sind hier zu finden.

Hans Nutzinger ist Wirtschaftswissenschaftler. Vor seiner Emeritierung im Jahr 2010 war er Professor für Theorie öffentlicher und privater Unternehmen an der Universität Kassel. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wirtschaft und Ethik, Ökologische Ökonomie/Umweltökonomie, Arbeitsbeziehungen/Partizipation, Grundfragen der Wirtschaftspolitik und Geschichte des ökonomischen Denkens. Er hat auf diesen Gebieten zahlreiche Bücher, Sammelbände und Aufsätze publiziert. Außerdem ist er Mitherausgeber bzw. Beiratsmitglied mehrerer wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Jahrbücher.

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