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Genossenschaften als Postwachstumspioniere?

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Genossenschaften stehen grundsätzlich dafür, zugleich nachhaltig zu wirtschaften und sozial verantwortlich zu handeln. Dies wollte die Generalversammlung der Vereinten Nationen in die breite Öffentlichkeit tragen, als sie 2012 das Internationale Jahr der Genossenschaften ausrief.

Genossenschaftliches Selbstverständnis

Die Genossenschaft wird international verstanden als ein allen Interessenten offen stehendes, überkonfessionelles Modell der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung auf Grundlage von Kooperationen. Sie stärkt individuelles Engagement und Selbstbewusstsein und ermöglicht soziale, kulturelle und ökonomische Partizipation. Durch die Kulturform der Genossenschaften kommt bürgerschaftliches Engagement im sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich jenseits von privaten und staatlichen Wirtschaftsformen zum Ausdruck.

Der Genossenschaftsgedanke erweist sich als sehr dynamisch und einflussreich und eröffnet weniger privilegierten Bevölkerungsschichten neue Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe. Er greift grundlegende Prinzipien des kulturellen Selbstverständnisses menschlicher Gemeinschaft auf und überträgt sie in die ökonomische Praxis. Damit trägt er zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen bei und wird durch kreative Veränderungen immer wieder an moderne Gegebenheiten angepasst.

Durch Kooperation zum Ziel

co-operativesUm dies zu verdeutlichen lautet ein Slogan der Vereinten Nationen: “Genossenschaften bauen eine bessere Welt.“ Dazu hat die International Co-operative Alliance (ICA) mit Sitz in Genf ein Logo kreiert. Es erinnert daran, dass Genossenschaften autonome Zusammenschlüsse von Personen sind, die sich freiwillig ihre gemeinsamen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Wünsche auf der Grundlage gemeinsamen Eigentums und demokratisch kontrollierter Unternehmen erfüllen.

Die Figuren in dem Logo stehen stellvertretend für die sieben Prinzipien der genossenschaftlichen Bewegung: freiwillige und offene Mitgliedschaft; demokratische Kontrolle der Mitglieder; wirtschaftliches Mitwirken der Mitglieder; Autonomie und Unabhängigkeit; Bildung, Ausbildung und Information; Kooperation mit anderen Genossenschaften und die Sorge für die Gemeinschaft. Diese sieben Prinzipien wirken zusammen, sodass Genossenschaftsmitglieder jene Ziele und Wünsche erreichen, die durch individuelle Anstrengungen nicht realisierbar wären.

Mehr als eine Rechtsstruktur

Dies verdeutlicht: Im Unterschied zu dem in Deutschland teilweise vorherrschendem Selbstverständnis sind Genossenschaften nicht einfach nur Unternehmen, die die Rechtsstruktur einer eingetragenen Genossenschaft (eG) gewählt haben. Sie stehen vielmehr für eine besondere Organisation mit anderen Prinzipien als der Mainstream der Wirtschaft.Entsprechend realisieren sie als Unternehmen immer mehr oder weniger ausgeprägt eine Umsetzung der vier wichtigsten genossenschaftlichen Charakteristika: das Förder-, das Identitäts-, das Demokratie- und das Solidaritätsprinzip. Sie achten also darauf, dass nicht die Gewinnerzielung, sondern die Nutzenschaffung für die Mitglieder im Vordergrund steht, dass die Mitglieder als Eigentümer/innen auch möglichst die Nutzer/innen sind und dass jede und jeder Beteiligte über eine Stimme verfügt.

Organisationsform für eine Postwachstumsgesellschaft?

Was liegt also näher, als mit Genossenschaften die Chance zu ergreifen, durch sie Anregungen für demokratische Strukturen auf verschiedenen Unternehmensebenen in Deutschland zu gewinnen? Oder sie aufgrund des Förder- und des Identitätsprinzips als Organisationen zu promoten, die die Bedarfsdeckung in den Vordergrund stellen. Damit wären sie die Organisation für eine Postwachstumsgesellschaft schlechthin. Auf den ersten Blick drängt sich dies regelrecht auf. Auf den zweiten Blick erweist sich eine solche eindeutige Vereinnahmung als zu kurz gegriffen. Sind doch die Genossenschaften infolge sehr unterschiedlicher Ansätze und Konzepte erheblich vielschichtiger. Je nach Märkten und der Art der Mitglieder divergieren die Ausprägungen erheblich.

Prosumentenkooperationen im Energie- und Lebensmittelbereich

Insofern sollte die Vereinnahmung der Genossenschaften für die Entwicklung einer Postwachstumsgesellschaft erst einmal an den Ansätzen anknüpfen, die nach ihrem eigenen Selbstverständnis tatsächlich dafür stehen. Dies sind fast immer Genossenschaften, die das Thema Selbstversorgung – und zwar gemeinschaftliche Selbstversorgung – auf ihre Fahnen geschrieben haben. Damit sind wir bei der Prosumentenidee, also Konzepten bei denen sich Menschen zugleich als Produzenten und Konsumenten mit dem Ziel der gemeinschaftlichen Bedarfsdeckung zusammenschließen.

Neue Ansätze lassen sich hier gegenwärtig unter den Energiegenossenschaften finden, die Strom und Wärme aus Erneuerbaren Energien erzeugen und zunehmend auch selbst nutzen. Energieeffizienz und Energieeinsparung sind mehr oder weniger die zwangsläufige Folge.

Eine längere Tradition weisen hier zudem Genossenschaften im Lebensmittelsektor auf. Der Rückblick auf die Geschichte der Konsumgenossenschaften zeigt, dass sich nach dem Prinzip der produktiven Plünderung von verschiedenen historischen und aktuellen Ansätzen für erfolgreiches gemeinschaftliches Wirtschaften viel mehr voneinander lernen lässt, als dies gegenwärtig geschieht. Unabhängig davon weisen genossenschaftliche Ansätze in Form von Foodcoops, Solidarischer Landwirtschaft, Mitgliederläden und vor allem als Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaften Strukturen und Erfahrungen auf, die für die konkrete Umsetzung einer Postwachstumsgesellschaft unverzichtbar sind.

 

Am 4. und 5. November findet in Essen das Seminar „Kooperationen für die kommunale Energiewende“ statt, bei dem Ansatzpunkte und praktische Beispiele der Zusammenarbeit zwischen Energiegenossenschaften, Kommunen und Stadtwerken vorgestellt und diskutiert werden. Weitere Informationen und das vollständige Programm finden Sie hier.

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