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Enquete-Bericht zur Entkopplung – Teil 3: Was steht zwischen den Zeilen?

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Die Projektgruppe der Enquete zum Themenkomplex Entkopplung, hat festgestellt, dass die Belastungsfähigkeit der Umwelt begrenzt und vielfach überschritten ist. So weit, so trivial. Entsprechend konnte bei der Vorstellung des Berichtsentwurfs auch weitgehende Einigkeit herrschen.

Die genannten Erkenntnisse sind im Kern mindestens einige Jahrzente alt. Der Konkretisierungsgrad ist mit neueren Studien gestiegen, aber ob die für das 2-Grad-Ziel zulässigen Emissionen ein paar Tonnen mehr oder weniger betragen ist angesichts einer Überschreitung um das Vielfache letztlich egal. Die prominente Berücksichtigung sozialer Fragen ist richtig, aber ebenfalls kaum neu. Einen ökologischen Umbau, der sie ignoriert, schlägt niemand ernsthaft vor.

Also nur ein Wiederkäuen bekannter Erkenntnisse durch eine hochkarätig besetzte Kommission? So könnte es über weite Teile bei einem schnellen Blättern durch die Kapitel wirken. Und es wäre ein Irrtum. Denn einige zentralen Aussagen werden erst in der Gesamtschau so richtig sichtbar, sie stehen „zwischen“ den Zeilen. Hier sollen zwei Aussagen heraus gestellt werden, die so an keiner Stelle explizit zu lesen sind. Und doch werden sie getroffen:

Die Umweltgrenzen haben Priorität!

Die Frage der Entkopplung wird von der Projektgruppe sowohl in der ausführlichen Behandlung der Umweltgrenzen als auch in der Begriffsbestimmung in den Hintergrund gerückt. Wenn Grenzen aber am Anfang der Analyse stehen, wenn diese unbedingt eingehalten werden müssen, dann spielt Entkopplung nur noch innerhalb enger Parameter eine Rolle. Oder anders: Wenn die Grenzen gesetzt sind, wenn in der Begriffsklärung eine „absolute“ Reduktion als Ziel definiert wird, ergibt sich daraus ein einfacher Schluss: Wenn Entkopplung nicht möglich ist, dann kann es kein unbeschränktes Wachstum mehr geben. Das ist eine klare Schwerpunktsetzung, ganz im Gegensatz zu verwässerten Konzepten von Nachhaltigkeit die alle drei Komponenten (ökologisch, ökonomisch, sozial) bis zur Handlungsunfähigkeit gleichrangig behandeln wollen. Die Projektgruppe für Entkopplung hat also ihre Zielsetzung weg von der Entkopplung geschoben! Das ist beachtlich.

Entkopplung ist unrealistisch!

Die Aussage der Projektgruppe ist fast das genaue Gegenteil: „Entkopplung ist möglich.“ Diese Möglichkeit der Entkopplung wird dann aber de facto fast nur theoretisch begründet (Kap.5.2). Ein direkter kausaler Zusammenhang besteht selbstverständlich nicht. Aber die Korrelation von Wachstum und Umweltverbrauch ist stark, und entsprechend stellt der Bericht eine unglaublich lange Liste auf, was alles gegen Entkopplung spricht: Vielfache Megatrends arbeiten gegen Entkopplung, ob die Übertragung westlicher Konsummuster (Kap. 2.1.3) oder die nachholende Industrialisierung (Kap. 2.1.5). Große Herausforderungen machen Fortschritte zunichte, ob durch den Rebound Effekt, der Effizienzfortschritte auffrisst (Kap. 5.4.1), oder durch tief verankerte kulturelle und psychologische Muster (Kap.5.4.4 bzw. 5.4.5). Dort wo Handlungsspielräume thematisiert werden, geht es oft primär um deren Einschränkungen, so reduziert die Allmende-Problematik die Spielräume von Nationalstaaten massiv (Kap. 6.3). Wo Szenarien von Entkopplung entworfen werden, beschränkt sich dies auf Modellrechnungen in wenigen Umweltbereichen (Kap. 6.2). Historische Beispiele der Entkopplung zeigen vor allem, dass sie unter ganz besonderen Bedingungen zustande kamen, ohne echte Übertragbarkeit (Kap. 5.6). Die vorab gestellte Aussage der Projektgruppe bleibt richtig: „Unmöglich“ wird Entkopplung auch angesichts der genannten Herausforderungen nicht. Aber sie wird ohne grundlegende Veränderungen in unserer Wirtschaftsweise doch extrem unwahrscheinlich. Wenn das so ist, und zusätzlich die Umweltgrenzen Priorität haben (s.o.), dann kratzt die Enquete-Kommission am Wachstumsparadigma. Gut versteckt, aber immerhin.

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