Standpunkte

Ehrenamt in einer Postwachstumsgesellschaft

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Ehrenamt hat Konjunktur: Spätestens seit dem Ende der 1990er Jahre ist das Ehrenamt in den öffentlichen Debatten präsent und zu einem wichtigen – parteiübergreifend anerkannten – Politikfeld der Bundespolitik geworden, das zu fördern sei. Dabei wurden und werden Ehrenamt und freiwilliges Engagement oft funktionalistisch verstanden als vermeintlich einfache Lösungen für unterschiedlichste Krisen, wie beispielsweise die Krise des Arbeitsmarktes, den Pflegenotstand, die Flüchtlingsproblematik usw. Auf der anderen Seite gibt es auch grundsätzliche Kritik am ehrenamtlichen Engagement, das dann als Bedrohung für reguläre Arbeitsverhältnisse oder als spezielle Form der Ausbeutung betrachtet wird.

In meiner Perspektive sind beide dargestellten Vorstellungen ehrenamtlichen Engagements in modernen Gesellschaften verfehlt. Ehrenamt definiere ich als (1) Tätigkeiten, die (2) freiwillig sind und nicht auf materiellen Gewinn gerichtet, die (3) gemeinwohlorientiert sind, (4) öffentlich bzw. im öffentlichen Raum stattfinden und (5) in der Regel gemeinschaftlich oder kooperativ ausgeübt werden. Aus der genaueren Charakterisierung der genannten Elemente ergibt sich in pragmatistischer Perspektive ein nicht funktionalistisches Verständnis von Engagement, das dieses in seinem Eigenwert ernst nimmt.

(1)       Die bloße (fördernde) Zugehörigkeit zu einer Organisation, z. B. als Mitglied im Sportverein, ist noch kein Ehrenamt, sondern nur Tätigkeiten, die mit einem Zeitaufwand verbunden sind, also Aktivitäten, in denen man sich aktiv als ganze Person einbringt. Ehrenamtliche sind also Menschen, die ihr Engagement handelnd realisieren und damit auch Glaubwürdigkeit erzielen.

(2)       Die Charakterisierung als freiwillig und nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet verdeutlicht, dass diese Tätigkeiten nicht über den Markt gehandelt werden, da sie nicht bezahlt werden. Entschädigungen für angefallene Kosten, die im Rahmen der ehrenamtlichen Tätigkeit entstanden sind, sind aber mit ehrenamtlichem Engagement vereinbar.

(3)       Die Gemeinwohlorientierung bedeutet, dass es sich um gesellschaftlich erwünschte Tätigkeiten in sozialen Austauschprozessen handelt – in Abgrenzung von Hobby und Spiel. Ehrenamt soll im Ergebnis auch einen Fremdnutzen – also Gemeinwohl – produzieren, ohne dass dies das primäre Ziel des Ehrenamtlichen sein muss. In dem Engagement können unterschiedlichste Vorstellungen eines guten Lebens umgesetzt werden, sofern dies mit dem Gemeinwohl kompatibel ist. Ehrenamt kann aber nicht soziale Arbeit ersetzen.

(4)       Das Charakteristikum öffentlich verdeutlicht, dass es sich nicht um Haus- und Familienarbeit (oder Nachbarschaftshilfe) handelt, sondern um Tätigkeiten, die im öffentlichen Raum stattfinden.

(5)       Die Kennzeichnung als gemeinschaftlich oder kooperativ verweist auf die Einbettung in Institutionen oder Organisationen – in Deutschland überwiegend Vereine –, innerhalb denen Ehrenamtlichkeit ausgeübt wird, die weder Unternehmen noch staatliche Behörden sind. Für das Ehrenamt sind zumindest lose Organisationsformen des sogenannten Dritten Sektors notwendig.

Was folgt aus diesen Überlegungen in der Perspektive einer pragmatistischen Handlungstheorie, die neben Nutzen auch Werte, die Körperlichkeit und die Verwiesenheit auf andere berücksichtigt, für die Ehrenamtsförderung in modernen Gesellschaften?

Zunächst sollte das Engagement so ausgestaltet sein, dass sich alle Menschen engagieren können. Aufwandsentschädigungen, Versicherungsschutz und weitere Rahmenbedingungen, die das Engagement erleichtern, sollten auch einkommensschwachen Menschen ein Engagement ermöglichen. Außerdem sollten Organisationen des Dritten Sektors Bedingungen schaffen, die den Menschen die Realisierung ihrer Vorstellungen eines guten Lebens ermöglichen, ihnen also eine Sinndimension im Handeln eröffnen. Bei aller in pluralen Gesellschaften notwendigen Vielfalt an speziellen Zwecken von Organisationen zielen sie dennoch alle auf Gemeinwohl und Gerechtigkeit. Das hat Folgen für die Ausgestaltung der Organisationen selbst: der Zugang zum Engagement, die Behandlung der darin engagierten Menschen und der Klienten muss dem Anspruch auf Gemeinwohl und Gerechtigkeit entsprechen. Partizipation und Inklusion sind daher wesentliche Prüfkriterien für die Ausgestaltung des Ehrenamts.

Da ehrenamtliches Engagement immer gekoppelt ist an bestimmte Institutionen, in denen es stattfindet, müssen zum Erhalt der motivationalen Kraft für ehrenamtliches Engagement Ideale und Werte auch durch emotionale Erfahrungen aktualisiert werden. Jubiläen, Gedenktage, Rituale, Ehrungen und gemeinsame Feiern können diesen Aspekt vergegenwärtigen und unterstützen. Das Ehrenamt kann als Raum dienen, wo solche gemeinsamen emotionalen Erfahrungen in besonderer Weise möglich sind und mit Bezug auf gemeinwohlorientierte Werte gedeutet werden. Insofern müssen Organisationen des Dritten Sektors darauf achten, die Dimension der Emotionen zu würdigen und nicht nur als effiziente, bürokratische und sachliche Dienstleistungseinheiten zu funktionieren.

Insgesamt sind also unterschiedliche Handlungsorientierungen, u. a. der Eigenwert im Handeln, bei den Überlegungen zur Förderung ehrenamtlichen Engagements zu beachten. Durch die Förderung des Engagements wird allerdings keine Lösung für defizitäre Sozialsysteme, Pflegenotstand oder Arbeitslosigkeit geschaffen, sondern Räume, die es dem/r Einzelnen und unserer Gesellschaft als ganze ermöglichen, sich handelnd – und damit glaubwürdig – der eigenen Vorstellungen eines guten Lebens für den/die Einzelne/n und die Gemeinschaft zu vergewissern und öffentlich auszudrücken und auch kritikfähig zu machen. Im Ehrenamt würdigen wir somit unsere Vorstellungen von einer guten Gesellschaft.

PD Dr. Bettina Hollstein ist wissenschaftliche Kollegreferentin am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt und Herausgeberin der Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (zfwu). Sie hat 2015 ein Buch zum ehrenamtlichen Engagement veröffentlich: „Ehrenamt verstehen. Eine handlungstheoretische Analyse“, Frankfurt a. M./New York: Campus.

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