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Die Utopie nicht nur denken, sondern leben

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„Was bedeutet Utopie für dich?“

Harmonie, Freiheit, Glück, Frieden, Sehnsucht…“ (aus dem Publikum)

Bereits zu Beginn der UTOPIKON wurden weite Horizonte gesteckt. Doch es ging nicht nur ums Träumen von der Utopie, sondern darum, sie auch zu leben. Für die rund 300 Utopistinnen und Utopisten wurde dies vor allem durch die geldfreie, vegane und solidarische Organisation der Konferenz aufgezeigt, als Einladung zum Mitmachen und Weitertragen- living Utopia! Denn nach Albert Einstein können „wir […] Probleme nicht mit der selben Denkweise lösen, wie sie auch entstanden sind“.

Deshalb soll die Wachstumsorientiertheit des Systems nicht nur verbal kritisiert werden, sondern auch in der Organisation der Konferenz abgelehnt werden. Es ist möglich!

Geldfrei bedeutet sich in einem leistungsfreien Raum entfalten zu können, sich von anderen zu emanzipieren und somit außerhalb der Box zu denken. Auf der UTOPIKON ging es darum neue Selbstverständlichkeiten zu schaffen, andere Gewohnheiten auszuprobieren und für sich anzunehmen. Niemand ist mit seinen Gedanken allein und genau das war es, was überzeugte: die Utopistinnen und Utopisten, die beeindruckende Geschichten zu erzählen hatten und bereits Wege gefunden haben Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen.

Keine Commons ohne Commoning

Silke Helfrich lud zu Beginn mit ihrem Commons-Ansatz in ihre Utopie ein und forderte eine Welt, bei denen Menschen wieder Kontrolle und Verantwortung für Gemeinschaftsgüter jeglicher Art übernehmen. Es gibt keine Commons ohne Commoning. Nur über die Schaffung neuer Bedürfnisse und Beziehungen untereinander und zu den Ressourcen kann eine gerechte und verträgliche Nutzung ermöglicht werden. Dafür bedarf es einer neuen Terminologie, die festgefahrene Denkmuster löst.

Postwachstum von unten

Der direkte Bezug zur Postwachstumsgesellschaft entstand durch den Beitrag von Nico Paech, der zu einem Praktizieren des reduktionistischen Lebensstils aufrief. Reduktion zum Zwecke eines verbesserten Lebens durch erhöhte Lebensqualität, denn ab einem gewissen Einkommen stagniert die Zufriedenheit der Menschen, soweit bekannt. Mit seiner doppelten Logik der Suffizienz, bestehend aus der Verantwortungslogik, um ökologische Grenzen einzuhalten und der Logik des Zweckes der psychischen Entlastung führte Nico in die drei Ebenen der Postwachstumsökonomie ein: Subsistenz, regionale Ökonomie, soziale Diffusion. Die Quintessenz- die Veränderung kommt von unten!

Wachstum verlernen

Daran knüpfte Friederike Habermann mit ihrem Ecommony- Ansatz an. Auch sie forderte zur Wiederentdeckung des Selbstverständlichen auf, indem sie dies exemplarisch an verschiedenen Beispielen einer Postwachstumsgesellschaft aufzeigte- „Besitz statt Eigentum“ und „Beitragen statt Tauschen“. Knappheit erzeugende Institutionen des Kapitalismus und des Geldsystems müssen durch sogenannte Halbinseln, in denen „Wachstum verlernt wird“ und solidarische Ökonomien praktiziert werden, ersetzt werden.

Harmonisierung von Ideologie und eigenem Handeln

Die zahlreichen Workshops der UTOPIKON gaben Aktivistinnen und Aktivisten einer Postwachstumsgesellschaft die Möglichkeit ihre Praxis zu teilen. An dieser Stelle sollte nun die Theorie in die Praxis umgesetzt werden. So wurden in der Entschleunigungskammer Möglichkeiten „sich selbst nicht länger im Weg zu stehen“ praktiziert. Gemeint ist dabei das sogenannte attitude-behavior gab, welches die Dissonanz zwischen eigener Ideologie und Moral und tatsächlichem Handeln beschreibt. Obwohl man seinen CO2-Fußabdruck senken möchte, um Klimagerechtigkeit zu erreichen, fliegt man doch spontan für ein verlängertes Wochenende zu den Liebsten in die Ferne, da man sich so lange nicht gesehen hat. Schnell werden unzählige Argumente und Rechtfertigungen für das eigene Handeln gefunden, die der eigenen Ideologie eigentlich entgegenstehen. Die individuelle, emotionale Belastung führt zur Rationalisierung, dadurch gehen die Emotionen verloren, ein Selbstbetrug findet statt. Achtsamkeitsübungen sollen hier Abhilfe schaffen, um über das Ablegen des Schuldgefühls konstruktiv an sich selbst zu arbeiten und den Postwachstumsgedanken zu leben.

Die Zeit zurückerobern

Den Abschluss bildete der Beitrag von Gerrit von Jorck zu seinem Zeitwohlstandskonzept. „Krise ist, wenn morgens der Wecker klingelt“ – Wir leben in einer Wettbewerbsgesellschaft, die uns vor allem Zeitsouveränität nimmt und im Miteinander zu Zeitungerechtigkeiten führt. Entschleunigung und Selbststeuerung sind hier gefragt, um Zeitrebounds zu verhindern und Suffizienz zu etablieren. Zeit spielt in der Postwachstumsgesellschaft eine große Rolle, da unser Zeitwohlstand durch das wachstumsorientierte System und die damit einhergehende Arbeitswelt beeinträchtigt wird.

Gefragt sind Individuen, die eine Veränderung verkörpern. Man muss dem Antifrustrationsprinzip folgen und im Kleinen anfangen, um seine Utopie zu leben. Dazu lieferte die UTOPIKON erste entscheidende Grundsteine. Die Frage ist nun, wie wir eine Utopie, die alle Menschen mitreißt, erreichen, sodass auf der nächsten geldfreien Konferenz Utopistinnen und Utopisten aus allen Gesellschaftskreisen vertreten sind.

Joyce-Ann Syhre studiert zurzeit den interdisziplinären Masterstudiengang Integrated Natural Resource Management an der HU Berlin und ist als studentische Mitarbeiterin am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) im Forschungsfeld Nachhaltige Energiewirtschaft und Klimaschutz tätig. Persönlich treibt sie die Frage nach der Transformation in Richtung einer sozial-ökologischen Gesellschaft - nicht nur national, sondern global gesehen - um.

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