Standpunkte

Avantgarde der sozial-ökologischen Transformation

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Der Kapitalismus ist am Ende. Wir sind mitten in einem Übergang. Wohin? John Ruskin (1819-1900) und seine Freunde von der Arts and Crafts Bewegung legten Mitte des 19. Jahrhunderts Zeugnis ab, von den zerstörerischen sozialen und ökologischen Kräften des Übergangs von einer feudalen Gesellschaft zur Industriegesellschaft. Eine Gesellschaft in der das Kapital und die Maschine die Herrschaft über alle Lebensbereiche übernahmen. Ein Regime, das inzwischen die ganze Welt kolonialisierte und ihrem totalitären Herrschaftsanspruch unterwarf. John Ruskin war einer der ersten und klügsten Kritiker einer Wirtschaftswissenschaft, die sich damals noch Moralphilosophie nennen durfte.

Er entzaubert den chiliastischen Glauben an die „unsichtbaren Hände“ des Marktes. Er tritt als Anwalt der Ausgebeuteten und Enteigneten auf. Mit beißender Satire kritisiert er seine eigene Klasse – und wird von ihr dafür mit Ausgrenzung bestraft. Und er begründet eine Werttheorie, die unglaublich modern ist. Er ist ein früher Denker der Nachhaltigkeit. Und er gehört zu den wenigen, die, wie Gandhi [i], die moralische Maxime „Walking the Talk“ für sich in Anspruch nehmen dürfen. Er setzt sein (beträchtliches) Vermögen ein, um seine Ideen zu verbreiten und um soziale Experimente (genossenschaftliches Arbeiten und Leben) zu ermöglichen. Ruskin spricht in einer Sprache, die altertümlich erscheinen mag, aber manchmal eine Kraft, Sinnlichkeit und Qualität hat, die uns verloren gegangen ist. Es lohnt sich seine Worte und Gedanken auf sich wirken zu lassen und ihnen nachzuspüren.

Arbeit unter Bedingungen der Freiheit

Ruskin und William Morris (1834-1896), haben als zentrale Figuren der bis heute sehr einflussreichen Arts and Crafts Bewegung viel zum Postwachstumsdiskurs beizutragen. Für Ruskin und Morris sind die Qualität der Arbeit und die Qualität des Produkts untrennbar miteinander verbunden. Nur gute Arbeit kann gute Produkte hervorbringen, weil nur sie in einem umfassenden Sinne dem Leben – in all seinen Formen – dienen.

In der Utopie „Kunde von Nirgendwo“ (1890) beschreibt William Morris die Lage einer Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, weil Maschinen sie für sie erledigen. Dies ermöglicht allen ein Bedingungsloses Grundeinkommen und niemand muss arbeiten. Der inneren Leere, die diese Lebensweise mit sich bringt, sind die Menschen nicht gewachsen. Es kommt zu Aufständen und zu einer Revolution, in der die Bürger/innen ihr Recht auf Arbeit zurückerhalten. Die Wirtschaftsdemokratie, die sie etablieren, erlaubt es, gemeinschaftlich darüber zu entscheiden, was die Maschinen machen dürfen und welche Arbeiten ein Privileg der Bürger/innen bleibt.

Die Bewohner/innen dieser befreiten Gesellschaft, die Morris in seiner Utopie skizziert, leben als Künstler/innen, Handwerker/innen, Philosoph/innen oder Landwirte und im Frieden mit den Tieren und der Natur. Sie gehen den Tätigkeiten nach, die sie um ihrer selbst willen gerne tun und die ihnen dabei helfen, ihre Fähigkeiten zu leben und weiterzuentwickeln. Im Frühjahr und im Herbst fahren sie alle gemeinsam auf die Felder zum Sähen und Ernten. Nicht der Konsum steht im Vordergrund, sondern die Liebe, die Freundschaft, Kunst und Kultur und die Pflege (Care). Alle leben einfach, aber schön und nachhaltig.

Seine eigenen Werkstätten „Morris and Company“, die wirtschaftlich durchaus erfolgreich waren, ließen William Morris am Ende doch sehr unbefriedigt zurück. Er beklagte, das seine Werkstätten nur „schweinischen Luxus für Reiche“ herstellten, die große Masse der Menschen sich Arts and Crafts nicht leisten konnten. Ob dies heute noch sein muss, darf allerdings mit Fug und Recht angezweifelt werden.

Auftakt für einen andauernden Diskurs

Es handelt sich um eine Vision mit zahllosen Anknüpfungspunkten an die Debatte um das Bedingungslose Grundeinkommen als Antwort auf die Industrie 4.0, um die „Cinderella Ökonomie“ von Tim Jackson, die „Könnensgesellschaft“ von Christine Ax, die Idee eines vorsorgenden Wirtschaftens, an Gemeinwohl- und Wirtschaftsdemokratie-Konzepte oder an die Postwachstumsökonomie à la Paech. Ein sehr moderner und sehr anschlussfähiger Diskurs, der uns etwas geben kann, was die meisten zeitgenössischen Autor/innen verloren haben: Die hohe ästhetische Sensibilität derer, die Zeitzeugen des Untergangs der alten (vorindustriellen, vormodernen) Gesellschaft waren.

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Der Westhafen Verlag hat in diesen Tagen das Buch „Diesem Letzten – Vier Abhandlungen über die ersten Grundsätze der Volkswirtschaft“ herausgegeben. Es war zuletzt 1901 in Deutschland erschienen. Es ist Ruskins politischstes Buch. Und er selber sagte am Ende seines Lebens, dass es ihm das wichtigste war. Das Buch fasst seine Kritik an den liberalen Wirtschaftstheorien seiner Zeitgenossen zusammen.

 

[i]Gandhis friedlicher Sieg über die Kolonialmacht England beruhte auf dem Prinzip der „Nichtkooperation“. Ein interessantes Beispiel dafür war z.B. dass Gandhi über Jahrzehnte selber am Spinnrad Baumwolle versponnen hat und alle Inder/innen aufgefordert hat, es ihm gleich zu tun. Er wollte sein Land unabhängig von britischen Baumwohlimporten machen. Der Aufbau einer eigenen, indischen Textilwirtschaft und die Boykottierung britischer Importwaren waren für Gandhi Symbole für die Befreiung und Ermächtigung seines Landes.

Christine Ax ist Philosophin und Ökonomin. Sie hat das Handwerk des Journalismus bei einer Zeitung in Ostwestfalen erlernt. Sie forscht und schreibt seit Anfang der 90er Jahre über Aspekte des nachhaltigen Wirtschaftens. In ihren letzten Büchern „Die Könnensgesellschaft“, „Wachstumswahn“ Und „Reise in das Land der untergehenden Sonne – Japans Weg in die Postwachstumsgesellschaft“ beschäftigt sie sich mit der Bedeutung und mit Auswegen aus der Wachstumsfalle. Sie arbeitet und schreibt in Hamburg und in Wien (Sustainable Europe Research Institut) und ist Mitglied Netzwerk Vorsorgendes Wirtschaften.

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