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Adultum – Zeit erwachsen zu werden, da ausgewachsen

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„Adult“ steht im Englischen für das Erwachsenenalter, welches beginnt, wenn ein Mensch „ausgewachsen“ ist. Ein Vergleich zwischen dieser Lebensphase eines Menschen nach seinem körperlichen Wachstum und der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation in der Nach-der-Wachstums-Zeit ist naheliegend, aber nur dann aufschlussreich, wenn er nicht biologistisch oder deterministisch verstanden wird, sondern analog als politisches Narrativ für ein kritisch-optimistisches Denken und ein verantwortungsbewusstes Handeln.

Die Charakteristika des Erwachsenenalters können inspirieren, wenn es darum geht, die vielfältigen Praktiken und Pfade aus der Wachstumsgesellschaft mit ermutigender/n Geschichte(n) zu verbinden. So könnte z.B. die derzeitige bzw. kommende Nach-Wachstums-Epoche im Sinne eines Zeitalters erwachsen werdender Weltbürger/innen als „Adultum“ bezeichnet werden.

Eine solche herausfordernde Benennung stellt einen Zusammenhang mit dem Aufruf der Aufklärung zur Mündigkeit her.1 Mündig, d.h. erwachsen, ist wer sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen bedient, wer auch in schwierigen Situationen vernünftige Lösungen anstrebt und für sich und andere Verantwortung übernimmt.

Warum erwachsen werden?“

Diese Frage ist der Titel des 2015 erschienenen Buches von Susan Neiman, Direktorin des Einstein-Forums in Potsdam.2 Sie kritisiert darin die gängige Meinung, dass es zum Erwachsen- Werden gehört, seine Ideale und Träume abzulegen. Das Gegenteil ist nach ihrer Meinung richtig. Allerdings versteht sie sich selbst wegen der mehrfachen Krisen der Gegenwart nicht als Optimistin. Sie bezeichnet sich als Idealistin, die Hoffnung hat, wenn sie z.B. die vielen jungen Menschen erlebt, die Fragen stellen, Neues ausprobieren und sich nicht entmutigen lassen.

Ihre Hoffnung wird auch gestärkt durch Bezugnahme auf Kant, der die Menschen dazu ermutigte, sich aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Mit „selbst verschuldet“ habe Kant allerdings nicht gemeint, dass dies die Schuld jedes einzelnen sei, sondern er benannte im Besonderen den Staat, der ein Interesse daran gehabt habe, die Leute zu infantilisieren, weil er keine Erwachsenen wollte. Neiman aktualisiert diese Kritik dahingehend, dass sie für die heutige Infantilisierung die Zensur in autoritären Staaten und in globaler Hinsicht den ablenkenden Klatsch und Konsum verantwortlich macht.3

Ein Narrativ für erwachsen werdende Weltbürger/innen

Das neuzeitliche Denken war geprägt vom Glauben an Fortschritt bzw. Aufstieg und benutzte dafür u.a. den Vergleich zwischen dem individuellen Heranwachsen (Ontogenese) und gesellschaftlichen Entfaltungsprozessen (Phylogenese). In Stufentheorien wurden Entwicklungsstadien der Menschheit postuliert und mit Lebensperioden eines Menschen verglichen, wobei ein jeweiliges Reifestadium angezielt wurde.

Diese Fortschritts-, Aufstiegs- und Wachstums-Modelle wurden inzwischen als zu deterministisch und als die ambivalente Seite der großen Erzählung von der Moderne gesehen. Es kommt darauf an, die emanzipatorische Seite dieser Erzählung zu stärken, der es von Anfang an um Mündigkeit und Erwachsenwerden ging. Mit der Rede vom „Adultum“ kann dieser Teil der Erzählung fortgesetzt werden als ein Narrativ für erwachsen werdende Weltbürger/innen.

Ist die öko-soziale Transformation noch möglich?

Ob die seit dem Erdgipfel von Rio de Janeiro 1992 und von der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 nachdrücklich geforderte Transformation durchgesetzt werden kann, ist umstritten. Nicht wenige sind pessimistisch wegen des Dilemmas, weil es ein komplett grünes Wachstum nicht geben könne und ein normales Wachstum unausweichlich in die ökologische Katastrophe führen werde.4 Dass das Trotzdem der vielfältigen wachstumskritischen Initiativen und die Umsetzungsbemühungen der Beschlüsse von Paris nicht hoffnungslos sind, zeigt sich in der Begeisterung und den Teilerfolgen der Praxis, aber auch in ermutigenden Botschaften. So hält z.B. die im Juni 2015 von Papst Franziskus veröffentlichte Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ die öko-soziale Transformation für machbar; sie überfordere uns weder moralisch, noch politisch oder technisch.5

Eine solche Einstellung der Zukunft gegenüber, die angesichts der immensen Größe der zu bewältigenden Probleme nicht resigniert, sondern Komplexitäten und Ambivalenzen aushält und Verantwortung für sich und andere übernimmt (nicht zuletzt auch für nachkommende Generationen), kann zu Recht als erwachsen bezeichnet werden. Das sind die notwendigen Merkmale des kommenden Zeitalters, das Ulrich Beck als Zweite Moderne bezeichnet hatte; diesen erwachsen werdenden Teil der Moderne sollte man Adultum nennen.

 

1 Vgl. Heiner Geißler: Sapere aude! Warum wir eine neue Aufklärung brauchen, Berlin 2012

2 Vgl. Susan Neiman: Warum erwachsen werden? Eine philosophische Ermutigung, Berlin 2015

4 Vgl. Ulrike Herrmann: Vom Anfang und Ende des Kapitalismus, in: ApuZ 35-37 / 2015, 3-9, 9.

5 Vgl. Bernhard Emunds / Matthias Möhring-Hesse: Sozialethischer Kommentar, in: Papst Franziskus: Laudato si. Die Umwelt-Enzyklika, Freiburg i.Br. 2015, 217-346, 228.

Josef Senft lebt mit seiner Familie in Bonn; seit 1987 ohne Auto. Er engagiert sich seit vielen Jahren im Kontext des Bonner Oscar-Romero-Hauses. Beruflich war er als apl. Professor am Institut für Katholische Theologie an der Universität Köln in der Religionslehrer/innen-Ausbildung tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Sozial- und Umwelt-Ethik sowie der Theologie der Befreiung.

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